Welche Handlungsfelder hat ein mittelständisches Chemieunternehmen in Sachen Klimaschutz? Eva Opitz, Leiterin des Nachhaltigkeitsmanagements bei Budenheim, gibt inspirierende Einblicke. Hören Sie rein und abonnieren Sie Wir.Hear. zum Beispiel bei Spotify.
Tobias Göpel: Herzlich willkommen bei Wir.Hear. Heute tauchen wir ein in das komplexe und zukunftsweisende Thema Nachhaltigkeit. Ich bin Tobias Göppel von den Chemieverbänden Rheinland-Pfalz, und zu Gast ist heute bei mir Eva Opitz. Sie ist Head of Sustainability Management bei dem Chemiespezialisten Budenheim. Heute gibt sie uns inspirierende Einblicke und konkrete Beispiele, wie ein mittelständisches Unternehmen global einen Beitrag zum Klimaschutz leisten kann. Wir sprechen über die Herausforderungen, die Klimaschutzziele und eine energieintensive Branche mit sich bringen. Ich sag schon mal herzlich willkommen! Hallo, Frau Opitz.
Eva Opitz: Hallo, vielen Dank für die Einladung.
Tobias Göpel: Gerne. Budenheim kenne ich als Ort in Rheinhessen. Was macht ein Chemiespezialist?
Eva Opitz: Also, wir sind ein global tätiges Unternehmen. Wir haben unseren Hauptsitz hier in dem Ort Budenheim. Und die Firma heißt genauso wie der Ort auch Budenheim. Und wir haben insgesamt acht Produktionsstandorte weltweit. Die liegen in Spanien, den Niederlanden, Mexiko, USA und China. Und der größte Standort ist hier ansässig in Budenheim in Deutschland.
Wir produzieren alles, was man fürs tägliche Leben braucht, und zwar die Ausgangsstoffe dafür. Also man kann sich vorstellen, dass unsere Produkte, unsere Spezialchemikalien in vielen Dingen des täglichen Lebens vorhanden sind. Was man kennt, ist das Backpulver. Beim Backen stoßen Sie auf Budenheim. Wir haben zwei Divisionen, einmal Life Science und Material Science. Und da haben wir zum einen bei Life Science Backen, Babynahrung und Fleischanwendungen hauptsächlich im Fokus. Und dann gibt es Material Science. Da sprechen wir über Kunststoffe, Metallverarbeitung und ähnliche Bereiche, also wir decken ein sehr breites Spektrum ab mit unseren Produkten.
Tobias Göpel: Okay, vielen Dank dafür. Sie sind seit 2022 im Bereich Sustainability and Transformation tätig. Was hat Sie persönlich motiviert, in diesem Bereich Nachhaltigkeit zu gehen und wie verlief Ihr Weg dahin?
Eva Opitz: Als ich noch in der Schule war... Ich fange mal ganz weit vorne an, okay?
Tobias Göpel: Das wird immerhin ein langer Podcast.
Eva Opitz: Ich wusste schon genau, dass ich irgendwas mit Umwelt machen will und das war noch super unkonkret. Dann habe ich nach der Schule ein freiwilliges ökologisches Jahr gemacht. Ich weiß gar nicht, ob es das heute noch gibt, ist schon eine Weile her. Das war auf einer ehemaligen Mülldeponie und das fand ich beeindruckend, die Mülldeponie live zu sehen und über ein Jahr hier vor Ort zu sein.
Da habe ich Schulungen mit Schulklassen und mit Schülern verschiedener Altersstufen gemacht über das Thema „Wie verwerten wir unseren Müll richtig?“. Das ist ein Thema, was mich immer noch umtreibt. Wie können wir Rohstoffe sinnvoll nutzen? Also, wenn Sie sich so eine Mülldeponie vorstellen, kommt mir zumindest direkt der Gedanke, welche Rohstoffe dort liegen, die man eigentlich hätte noch verwenden können, wenn man es clever anstellen würde. Das war dann der Ausgangspunkt. Ich habe dann in Bingen Umwelttechnik studiert und bin in Budenheim gelandet.
Tobias Göpel: Mit Nachhaltigkeit verbinde ich eher grüne Wiesen und blaue Seen, das ist ja eher so das heimliche Bild. Deponien und Müllberge waren jetzt nicht mein erstes Bild im Kopf. Gab es da auch Recycling auf der Mülldeponie oder war das die klassische thermische Verwertung?
Eva Opitz: Die Deponie selbst ist nicht mehr in Betrieb gewesen, schon zu dem Zeitpunkt. Dort gab es eine Bioabfall-Vergärungsanlage. Auch ganz spannend, wenn man sich mal fragt, was mit all dem Abfall passiert, den wir in die Biotonne schmeißen. Und wie der verwertet wird. Da wurde noch Strom und Wärme aus dem Bioabfall gewonnen.
Tobias Göpel: Okay, das ist wieder ein schönes Beispiel. Damit kann ich jetzt persönlich besser leben als mit Müllbergen. Von den Müllbergen zurück zu Budenheim. Ich nehme an, diese Geschichte hat Sie geprägt. Sie hatten den Wunsch, etwas zu machen. Jetzt sind Sie bei Budenheim. Was dort produziert wird, haben wir auch erfahren. Und wie sieht jetzt Ihre persönliche Vision für ein nachhaltiges Bodenheim aus?
Eva Opitz: Ich wünsche mir, dass wir dahin kommen, dass wir sagen: „Wir machen Dinge, die sinnvoll für uns als Unternehmen und für die Welt sind“. Also ich habe auf jeden Fall den Drang, nach dem Sinn in meiner Arbeit zu suchen. Aber auch unsere Firma verfolgt im Bereich Nachhaltigkeit ganz klar die Vision, dass wir keine fossilen Energieträger mehr einsetzen. Das spielt im Moment noch eine große Rolle bei uns in der Produktion.
Wir verbrauchen aktuell in den Produktionsanlagen noch einiges an Erdgas. Dass wir es schaffen, das komplett umzustellen, dass wir mehr und mehr einsteigen in die Frage „Wo kommen unsere Rohstoffe her?“, sich die Fragen zu stellen „Wo können wir Kreisläufe schaffen? Wo können die Rohstoffe, die wir im Moment kaufen herstammen? Welche Optionen gibt es?“. Das ist mein Wunsch, dass wir da mehr und mehr hinkommen und das Thema ganzheitlich betrachten und nicht nur unseren kleinen Ausschnitt, sondern auch immer einen Blick nach vorne werfen und überlegen „Wo finden wir Synergien, wo können wir Dinge cleverer angehen und Prozesse ändern?“
Tobias Göpel: Das klingt nach vielen Aufgaben. Die könnten ja fast wie eine Tsunamiwelle vor einem stehen. Und auch bei der Kreislaufwirtschaft muss der Kreis irgendwann einmal beginnen. Ich kann ja schon mal spoilern. Es gibt auch einen Beitrag in unserem Magazin Wir.hier. Da haben Sie auch gesagt, dass Sie einen Fahrplan für Nachhaltigkeit entwickelt haben. Wie kann ich mir das vorstellen, diesen Fahrplan?
Eva Opitz: Wir können nicht alles gleichzeitig machen, das vielleicht erstmal vorweg. Das heißt, wir müssen priorisieren. Wir müssen uns überlegen, was wir heute angehen, was in den nächsten Jahren kommt und vor allem, was die großen Themen sind, bei denen es Sinn macht, jetzt anzufangen. Und bei unserer Nachhaltigkeitstransformation haben wir gesagt, dass wir in dem Bereich beginnen, den wir selbst am meisten beeinflussen können.
Und das ist unsere eigene Produktion, wo wir Energie und Rohstoffe einsetzen und zur Produktion unserer Produkte nutzen. Und da ist ganz klar jetzt und in den folgenden Jahren die Umstellung auf erneuerbare Energien im Fokus. Also wenn wir das ganz konkret machen wollen: Der Strom, den wir beziehen, wird im Jahr 2028 zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen stammen, und das ist zum Teil selbst produziert.
Im Moment haben wir sogar relativ viele PV-Anlagen. In den vergangenen zwei Jahren haben wir sieben Photovoltaikanlagen an unseren Firmenstandorten installiert und da bleibt natürlich noch ein Rest, den wir zukaufen. Da ist klar der Fokus, da gehen wir in Richtung erneuerbare Energien. Dann die Produktionsprozesse: Viele laufen im Moment noch mit Erdgas. Da ist es nicht so einfach, ein Stecker umzustecken: Erdgas raus, Strom rein. Das funktioniert nicht immer bzw. meistens nicht. Was machen wir hier? Prozessinnovation. Wir denken die Prozesse neu, und da bin ich auch dankbar dafür, dass wir mehr und mehr auch Kollegen haben, die die Zeit haben, sich Gedanken zu machen, was wir am Ende eigentlich produzieren wollen, was der Kunde von uns braucht und wie wir das mit regenerativer Energie erreichen können.
So, und dann gucken wir etwas später darauf, was passiert, bevor die Rohstoffe zu uns kommen. Wie kommen die Rohstoffe zu uns? Wie kommen unsere Produkte zum Kunden? Stichwort Transport. Was passiert danach mit den Produkten? Wie können wir darauf einwirken, dass ein Produkt am Ende seines Lebens vielleicht besser recycelt werden kann mit unseren Möglichkeiten, die wir haben.
Wie gesagt, alles gleichzeitig geht nicht. Und das sind Themen, die kommen danach. Deswegen sage ich Fahrplan. Wir starten bei dem einen und gehen dann sukzessive über die nächsten Jahre weiter zu den nachgelagerten Themen. Und wenn wir jetzt sagen, das ist uns besonders wichtig, dann ist das sicherlich die Energie, die wir nutzen und die Rohstoffe, die den größten Anteil ausmachen.
Tobias Göpel: Wie gelingt es da, die ganzen Standorte mitzunehmen und zu betrachten? Wird dann jeder für sich betrachtet oder wird immer alles ganzheitlich betrachtet? Wie passiert das Ganze da?
Eva Opitz: Unsere Standorte sind unterschiedlich. Das heißt, die alle jetzt in einen Topf zu schmeißen wird schwierig. Wir haben in den letzten Jahren enge Austauschrunden mit Experten und Netzwerken geschaffen und da treffen wir uns regelmäßig. Da ist von jedem Standort jemand vertreten. Wir tauschen uns aus. Das ist auch wichtig, dass alle am Ball bleiben.
Wie gelingt es, alle mitzunehmen? Na ja, durch immer wiederkehrende Kommunikation. Man muss am Ball bleiben, man muss dranbleiben. Man muss die Botschaft immer wieder wiederholen, damit auch allen klar wird, dass das jetzt keine Eintagsfliege hier mit der Nachhaltigkeit ist, sondern, dass das wichtig ist und uns die nächsten Jahre oder Jahrzehnte wahrscheinlich, begleiten wird. Das hat einen unglaublich hohen Stellenwert bei uns im Unternehmen, weil es sinnvoll ist. Von daher sind die Netzwerke da gut und ich muss das alles nicht allein machen. Das hilft natürlich auch.
Tobias Göpel: Das heißt, wie viel sind Sie da?
Eva Opitz: Ich habe am Anfang gar nicht erwähnt, wie viel wir bei Budenheim sind. Also wir sind 1.250 weltweit. Und es gibt zentrale Kollegen wie mich, die dann weitere Bereiche koordinieren. Das, würde ich sagen, sind fünf Kollegen vielleicht. Und die haben dann alle wieder ihre eigenen Netzwerke, mit denen sie sich treffen und austauschen. Und nur so kann das funktionieren. Man braucht dann Multiplikatoren, die die Botschaft weitertragen und dann auch an diesem Fahrplan, wie ich ihn geschildert habe, mitwirken.
Der ist ja sehr grob. Der ist dieses Jahr auf einer sehr hohen Flugebene, der muss konkret unterfüttert werden. Auf diesem Level kann der nicht bleiben. Es ist klar: „Okay, was verbirgt sich jetzt hinter dem Thema Prozess? Innovation? Was machen wir genau? Welche Anlage gehen wir wann an?“. Das muss mit den Standorten zusammen erarbeitet werden. Und das machen auch Kollegen von mir.
Tobias Göpel: Da kommen mir zwei Fragen zu dem Internen in den Kopf. Also einmal Frage zum Weisungsrecht. Welches Weisungsrecht haben Sie? Oder geht das letztendlich alles über die Geschäftsführung bzw. die jeweilige Standort- und Werksleitung?
Eva Opitz: Letzteres, ja.
Tobias Göpel: Okay, also Sie beraten, legen das fest und die Geschäftsführung sagt dann: „Genauso setzen wir das um“.
Eva Opitz: Ja, Geschäftsführung oder auch die Leiter der einzelnen Bereiche.
Tobias Göpel: Also es gibt natürlich nur hochmoderne, innovative Menschen bei uns in der Chemieindustrie. Aber ab und zu gibt es ja auch welche, die die Hände in den Taschen haben und sagen: „Das habe ich immer schon so gemacht. Was wollt ihr von mir?“. Und wie geht man mit solchen Leuten um?
Eva Opitz: Ja, zum Glück sind es ganz, ganz wenige. Aber es gibt sie. Es gibt die, die unbelehrbar sind. Also ich bin bereit, jedem immer wieder zu erklären, was wir tun und warum wir das tun. Ich finde es ganz wichtig, diesen Sinn auch darstellen zu können. Denn für uns ist auch die Nachhaltigkeitstransformation kein Selbstzweck, also sie erfüllt keinen Selbstzweck.
Wir machen das, weil es sinnvoll ist. Unsere Kunden sind übrigens auch diejenigen, die uns antreiben und dafür sorgen, dass es uns gibt und uns auch immer mehr und mehr Anforderungen im Bereich Nachhaltigkeit stellen. Also ich darf mich auch mit Kundenanfragen zum Thema Nachhaltigkeit befassen. Und da sehen wir ganz klar, dass das ist ein Riesenthema ist und da gibt es einen großen Bedarf nach Produkten, die gewisse Nachhaltigkeitskriterien erfüllen.
So, und das treibt uns an und ich finde, das ist ein super Sinn, den man darin sehen kann, weil wir sagen, wir machen das, weil wir auch in 10, in 20, in 50 Jahren noch hier sein wollen und als Firma Arbeitsplätze erhalten und ausbauen wollen. Und da bin ich immer bereit, allen Kollegen auch noch zum zehnten Mal zu erklären, wieso wir was machen und welche Ziele wir haben.
Und ja, am Ende bleibt ein kleiner Teil übrig, der vielleicht nicht richtig zuhören mag. Der vielleicht von woanders Informationen hat, bei denen man sagen würde, die sind schon längst wissenschaftlich widerlegt. Aber man hält daran fest. Und da muss ich sagen, ab einem gewissen Punkt ist meine Zeit dann sinnvoller eingesetzt, als jetzt den allerletzten Kollegen und Zweifler auch noch überzeugen zu müssen.
Tobias Göpel: Das heißt: Reden ja, aber wenn es nervtötend wird, dann Weisungsrecht? Und dann sagt die Bereichsleitung: Das macht man jetzt einfach so. Punkt?
Eva Opitz: Also ich muss sagen, die, die aktiv beteiligt sind, mit denen haben wir das Problem nicht. Das ist eher so von der Seite vielleicht mal den ein oder andere, der da nicht so überzeugt ist.
Tobias Göpel: Das haben wir glaube ich auch beim Fußball, dass dann immer 80 Millionen Schiedsrichter dabei sind.
Eva Opitz: Ja, die wissen das alle besser.
Tobias Göpel: Genau, und keiner ist wirklich auf dem Feld. Aber Sie haben auch gerade gesagt, die Kunden wollen das. Das ist kein Selbstzweck. Wir haben aber auch politische Rahmenbedingungen. Also es gibt ja auf EU-Ebene die Vorgabe der Klimaneutralität bis 2050, in Deutschland bis 2045 und in Rheinland-Pfalz hat es jetzt auch ein Klimaschutzgesetz gegeben, was noch mal ambitionierter ist, um nochmal früher klimaneutral zu werden.
Inwiefern beeinflussen solche politischen Vorgaben die Nachhaltigkeitsstrategie, also einmal in der EU und in Deutschland? Und dann gibt es noch die verschiedenen Standorte, die auch noch mal unterschiedliche Ansichten haben, wie das vorangetrieben werden soll.
Eva Opitz: Wir sehen das. Und natürlich schauen wir, ob unsere Strategie stimmig ist mit den Vorgaben oder ob sie angepasst werden müssen. Ganz ehrlich, die Anforderungen der Kunden sind strenger. Das ist die Erkenntnis der letzten Monate, dass dort der deutlich stärkere Treiber ist, aus den Märkten heraus. Von daher macht mir jetzt eine strengere Gesetzgebung keine Sorgen. Das werden wir hinkriegen und schaffen.
Tobias Göpel: Betriebswirtschaftlich betrachtet heißt das ja, dass PV-Anlagen installiert und Prozesse angepasst werden müssen. Das kostet ja Geld, wenn es der Kunde will und er auch strenger ist als die Politik, heißt das ja auch, dass die Produkte entsprechend teurer werden. Hat das auch Einfluss, dass man gucken muss, trotzdem noch in einem gewissen Marktumfeld, also preisgünstig bzw. preiswert zu sein gegenüber dem Wettbewerber? Oder reicht dann das Label „Wir sind super nachhaltig“, um dann den Mehrpreis auch zu rechtfertigen?
Eva Opitz: Ich glaube, ganz pauschal kann man diese Frage nicht beantworten. Es ist immer abhängig vom jeweiligen Markt und vom Kunden. Der Kunde hat eigene Ziele, die er erreichen möchte. Und da spielen wir eine Rolle mit unseren Produkten, die wir an den Kunden liefern. Ich glaube, die Preisgestaltung eines Produktes ist komplex und nicht nur auf den Aspekt Nachhaltigkeit bezogen, aber das wird sicherlich eine Rolle spielen.
Tobias Göpel: Wir kommen zurück zu den Produktionsprozessen. Beim Thema Geld wird es ganz dünnes Eis und dann hören sich einige nervös um. Bei PV-Anlagen kann ich mir vorstellen, dass man die installiert. Strom anschließen, Wechselrichter, das Leben ist schön. Aber wie genau kann ich mir vorstellen, wie Produktionsprozesse neu gedacht werden?
Eva Opitz: Also wir haben einen Produktionsprozess zum Beispiel, indem wir ein Produkt durch eine Erdgasflamme erhitzen. Dann ist es aber in manchen Fällen so, dass wir dann nicht nur eine reine Erhitzung durchführen, die könnte man auch elektrisch machen. Als Beispiel: Wir haben Gasgrill zu Hause und möchten weg von diesem Gasgrill und fragen sich, was die Alternative ist.
Dann nehmen sie halt den Elektrogrill. Sie nehmen vielleicht in Kauf, dass sie nicht mehr so ein schönes Aroma haben, wie sie schon vom Gas oder vom Kohle-Grill gewohnt sind und steigen um auf elektrischen Strom. Und das ist bei einigen unserer Prozesse möglich, bei denen wir Wärme brauchen. Auch Wärme können wir auch anders bekommen.
Es gibt aber eben einige Prozesse, bei denen es kniffliger wird. Da brauchen wir ganz bestimmte Temperaturen, und die brauchen wir zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt. Also wir müssen zum Beispiel sehr schnell hochheizen, um eine gewisse chemische Reaktion in Gang zu setzen. Das ist der Punkt, an dem wir dann einen Schritt zurücktreten und überlegen, was wir da genau tun, warum wir das tun und was verschiedene Optionen sind, um das zu erreichen.
Dann gibt es nicht nur die eine Option, bei der wir losziehen, das neue Aggregat kaufen, hinstellen und das funktioniert. So ist es leider nicht. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten, die man gegeneinander abwägen muss. Dann macht man einen sogenannten “Scale up“. Das heißt, als erstes wird das Ganze im Labor ausprobiert und dann in der Pilotanlage. Da hat man dann kleinere Mengen, die man durchfährt und schaut, ob man zum gleichen Ergebnis kommt. Dann würde das Ganze auf die Produktionsanlage hochskaliert werden und selbst dann ist immer noch nicht sichergestellt, dass das gleiche Produkt rauskommt.
Das ist an sich bei jedem chemischen Prozess der Fall. Diese Stufen, die man durchläuft, sind komplex und schwierig. Da braucht man viele verschiedene Kollegen und Abteilungen, die ihr Wissen einbringen. Und das braucht Zeit und ist eben ein Thema, bei dem wir sagen, dass es uns die nächsten Jahre immer wieder beschäftigen wird. Aber wir glauben, dass es sinnvoll ist und, dass wir damit auch die Produktion auf ein ganz neues Level heben können.
Tobias Göpel: Ja, Zeit ist ein schönes Stichwort. Also können Sie mir ein Gefühl dafür geben, ob wir über drei, fünf, fünfzehn Jahre reden oder über weniger?
Eva Opitz: Wir haben jetzt 2024, also…
Tobias Göpel: Noch ja, die letzten Tage.
Eva Opitz: Wir werden bis 2028 schon 30 Prozent unserer Emissionen reduziert haben. Das geht dann weiter bis wir, spätestens im Jahr 2050, eher früher, das müssen wir gucken, aber spätestens im Jahr 2050 dann am letzten Standort mit den Emissionen auf null sind. Wenn ich sehe, wie lange es teilweise dauert, Prozessentwicklung zu betreiben, eine Anlage zu bauen, Bauteile zu bestellen und zu bekommen, gehe ich davon aus, dass uns das die nächsten zehn, fünfzehn Jahre auf jeden Fall noch intensiv beschäftigt.
Mein Wunsch ist es natürlich auch, dass wir bei den wichtigen Dingen anfangen. Also dass wir jetzt nicht die 20 kleinen Prozesse, die irgendwie einen Beitrag von einem Prozent zum gesamten Carbon Footprint haben, angehen und da viel Zeit reinstecken, sondern dass wir dann natürlich auch sagen: Okay, wo geht's denn los? Was sind denn wirklich die großen Brocken? Und dass wir da anfangen, zu reduzieren und Zeit investieren.
Tobias Göpel: Gibt es da eigentlich Fördermöglichkeiten durch die Politik? Oder nehmen wir beides, Förderung und Verständnis. Also gibt es durch die Politik fiskalische Förderung oder einen Austausch in anderer Form? Und gibt es auch Verständnis von Politikern, dass solche Sachen sehr lange dauern? Haben Sie da Erfahrung damit?
Eva Opitz: Also es gibt Fördermöglichkeiten, die wir auch teilweise nutzen. Das ist dann immer länderspezifisch. Das heißt, da kümmern sich die Kollegen vor Ort, an den Produktionsstätten darum, welche Förderprogramme gerade Sinn machen, an denen wir auch teilnehmen wollen. Die sind schon sehr komplex. Also was ich von den Kollegen mitbekomme, ist der bürokratische Aufwand enorm. Und da muss man sich dann auch schon fragen, was sinnvoll ist und wo wir teilnehmen wollen. Bleibt am Ende überhaupt was übrig, wenn man das, wenn man die Fördermittel bekommt? Oft ist es so und dann macht es natürlich auch Sinn.
Ob die Politik da immer so verständnisvoll ist, kann ich nicht sagen. Also ich würde schon erwarten, dass ein gewisses Grundverständnis da ist. Es gibt ja auch immer mal wieder Besuche von Politikern vor Ort, wo die sich was anschauen und ein Gefühl dafür bekommen sollte, wie komplex teilweise die Prozesse sind.
Das mit den Förderungen ist ein schwieriges Thema. Was auch mitbekomme von den Kollegen, ist, dass es, neben der reinen Komplexität, manchmal verschiedene Förder- und Beihilfe-Programme gibt, die in einem gefühlten Widerspruch zueinanderstehen. Da wäre schon mein Wunsch, dass wir dahin kommen, dass Förderprogramme doch bitte aufeinander abgestimmt und in sich stimmig sind und gemeinsam auch Sinn machen und bearbeitbar sind.
Tobias Göpel: Wir nehmen es mal mit in unser Gespräch als Chemieverbände. Was mich persönlich jetzt noch so ein bisschen umtreibt: Sie haben es vorhin mit dem Gasgrill so schon erklärt. Ich übertrage das mal aufs E-Auto. Ich habe natürlich die Möglichkeit, ein E-Auto zu Hause zu haben. Ich lade das und mache dann das Überschuss-Laden über die PV-Anlage. Je nach Wetter kann das mal länger, mal kürzer sein.
Wenn ich das Fahrzeug aber in einer bestimmten Zeit geladen haben will, nehme ich im Zweifelsfall auch den Strom aus der Steckdose und mache dann kombiniertes Laden. Übertragen auf Ihre Situation: Sie sagen ja, Sie brauchen einer bestimmten Zeit eine bestimmte Energiemenge, um Temperaturen zu erzeugen. Jetzt haben wir ja nicht gerade die günstigsten Energiepreise in Deutschland. Wie balancieren Sie das dann aus? Also Ihr Ziel, Ökostrom oder letztendlich klimaneutralen Strom zu beziehen und diese Prozesse zu optimieren? Auf der anderen Seite aber auch mit so unwahrscheinlich hohen Kosten zu kämpfen?
Eva Opitz: Wir ziehen zusätzlich zu dem selbst erzeugten Strom noch Strom aus dem Netz, ganz klar. Dabei achten wir auf Herkunftszertifikate. So nennen sich die Zertifikate, die erforderlich sind, um zu sagen, ob der Strom tatsächlich irgendwo erneuerbar produziert wurde. Das ist der erste Punkt, der ist auf jeden Fall wichtig. Und dann ist es so, dass wir gerade eine große Investition hier am deutschen Standort gemacht haben. Da hatten Sie auch darüber berichtet. Unser House of Nutrition haben wir gebaut und in Betrieb genommen. Also der Standort hier ist auf jeden Fall ein Standort der Zukunft. Das neue Produktionsgebäude, was wir gebaut haben, kommt jetzt schon ohne Gasleitung aus. Das heißt, da steigen wir schon um auf erneuerbare Energie.
Und von daher ist die die Frage, wo wir produzieren. Die Energiepreise sind sicherlich ein Aspekt der Frage, wo wir produzieren. Aber es ist auch da wieder komplexer, als nur zu sagen: „Hier sind die Energiepreise hoch, also produzieren wir woanders“. Das ist auf keinen Fall der Plan. Man hat hier noch viele andere Aspekte, die mit reinspielen. Und ja, hier in Deutschland haben wir den größten Standort, und den werden wir auch erhalten und auf jeden Fall ausbauen.
Tobias Göpel: Ich höre so ein bisschen raus, wenn ich das mal etwas laissez-faire formulieren kann: „So klagt nicht, kämpft“. Also Sie wollen was machen und umsetzen, weil Sie die Notwendigkeit für sich erkannt haben. Und da Sie auch den Blick dafür und schon lange daran Interesse haben. Meine Frage: Welche Trends und Entwicklungen erwarten Sie in der Chemiebranche und speziell bei Budenheim im Bereich Nachhaltigkeit, so in den nächsten, sagen wir mal, fünf Jahren?
Eva Opitz: Also ich würde gerne noch mal zurückkommen zum Thema Kreislaufwirtschaft. Nachdem wir sagen, wir haben jetzt die Energiewende irgendwann mal konkret angegangen und haben sie geschafft, kommt die Frage: „Wo kommen die Rohstoffe her? Wie können wir dafür sorgen, dass wir möglichst wenig neue Rohstoffe einsetzen, tatsächliche Kreislaufwirtschaft hinbekommen und da clevere Lösungen zu finden?”. Ich glaube, das wird uns in den nächsten Jahren beschäftigen, uns als Firma, aber auch übergeordnet.
Und wir hören ja auch alle immer wieder von grünem Wasserstoff als Lösung. Das wird bestimmt ein Thema sein für uns als Budenheim. Sagen wir so, mit den jetzigen Konditionen, mit der Verfügbarkeit und den Preisen ist es für uns keine Lösung, zumindest keine flächendeckende. Also es ist auf keinen Fall so, dass wir uns zurücklehnen und sagen, dass irgendwann jemand das Erdgas in der Pipeline durch grünen Wasserstoff ersetzen wird, und dann sind alle Probleme gelöst.
Wir haben gesagt, das ist nicht die Lösung. Das kann eine Insellösung für einzelne Prozesse sein, aber nicht flächendeckend. Aber da glaube ich schon, dass das insgesamt gesehen auch für andere Industrien, wenn wir uns zum Beispiel die Stahlerzeugung anschauen, eine Rolle spielen wird in Zukunft.
Tobias Göpel: Das ist schon eine schöne Überleitung zur letzten Frage. Spoiler Alarm. Jetzt geht es ums Selbstmarketing. Wo sehen Sie Budenheim als Vorreiter, um andere Unternehmen der Chemiebranche letztendlich zu motivieren, nachhaltiger zu wirtschaften? Also wo sagen Sie, da sind Sie echt vorrangig und da kann man von uns Ihnen lernen.
Eva Opitz: Ich würde sagen, dass wir das meinen, was wir sagen und dazu stehen. Also es klingt blöd, wie abgedroschen, aber ich kann nicht mit gutem Gewissen etwas nach außen verkaufen, wofür ich nicht stehe. Das wäre nicht ich. Und das ist auch mein Eindruck von den meisten Budenheimern hier in der Firma, also von den Mitarbeitern bei Budenheim.
Dass wir dazu stehen, dass wir es ernst meinen und wir jetzt nicht einen Nachhaltigkeitsbericht aufsetzen, um einen Nachhaltigkeitsbericht zu haben. Die Berichterstattung ist ja auch noch ein großes Thema, was auf uns zukommt. Und da ist mein Wunsch, dass wir berichten und auch hingucken, was wir da berichten. Lass uns ableiten, was wir daraus schlussfolgern für uns als Firma. W nehmen wir mit? Was wollen wir ändern? Womit sind wir unzufrieden?
Und das, finde ich, macht uns ein Stück weit aus. Wir sind authentisch, bodenständig, könnte man sagen. Wir gehen die Dinge pragmatisch an, machen das, was sinnvoll ist, was wir schaffen, was wir können und stehen zu dem, was wir sagen.
Tobias Göpel: Vielen lieben Dank, unser Podcast ist am Ende. Frau Opitz, vielen herzlichen Dank für das Gespräch.
Eva Opitz: Vielen Dank für die Einladung. Hat Spaß gemacht.
Tobias Göpel: Mir auch. Vielen Dank. Authentisch, anpackend und überzeugt - das war unsere Folge mit Eva Opitz, Head of Sustainability Management bei den Chemiespezialisten Budenheim. Ich habe schon mal im Rahmen der Folge gesagt, dass es einen ergänzenden Artikel in unserem Magazin Wir.Hier. auch online in unserem Portal zu finden gibt. Wenn Ihnen diese Folge gefallen hat, dann teilen Sie diese gerne.
Ansonsten war dies unsere vorerst letzte Folge im Podcast Wir.Hear. Wir nutzen 2025 für eine kleine Pause und Überarbeitung des Formats. Sollten Sie Anregungen haben, schicken Sie die gerne an podcast@wir-hier.de. Ich bin Tobias Göpel und sage vielen Dank für die gemeinsame Zeit.