Der Future Skills Report Chemie 2.0 basiert auf KI-gestützten Auswertungen von 450.000 Chemie-Stellenausschreibungen aus den USA, China und Europa. Andreas Ogrinz ist Geschäftsführer Bildung, Innovation, Nachhaltigkeit beim Bundesarbeitgeberverband Chemie. Er erläutert, wie die neuen Einblicke in Future Skills die Chemie-Unternehmen und ihre Beschäftigten voranbringen können.
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Tobias Göpel: Sie sind Personaler, Personalentwickler oder Betriebsrat in der chemischen Industrie. Das ist ein Aufruf an Sie. Nutzen Sie den Future Skills Report. Warum? Das erfahren Sie in diesem Podcast. Herzlich willkommen beim Thema Welche Skills braucht die Transformation? Neue Technologien verändern unsere Arbeitswelt. Bestimmte Berufe werden weniger stark nachgefragt, andere Berufe können dafür als Rising Star bezeichnet werden. Mit dem Future Skills Report haben die Chemie Sozialpartner untersucht, welche Fähigkeiten künftig auf dem Arbeitsmarkt benötigt werden. Unterstützt wurden sie dabei von dem Unternehmen Age of Forecast. Über diesen Report spreche ich heute mit einem der Koautoren, Dr. Andreas Ogrinz. Er ist Geschäftsführer für Bildung, Innovation und Nachhaltigkeit beim Arbeitgeberverband Chemie in Wiesbaden. Hallo Andreas.
Andreas Ogrinz: Hallo!
Tobias Göpel: Der Future Skills Report hat ja fast 100 Seiten. Das ist ordentlich Lesestoff! Meine erste Frage an dich: Was hat der Report untersucht, und wie hat er es untersucht?
Andreas Ogrinz: Ja, zunächst muss man sagen, die 100 Seiten muss man gar nicht alle lesen, weil das Ding online ist und auch gut aufbereitet. Da kommt man schnell an die Infos. Ich versuche mal ganz schnell, zusammenzufassen, was da so drinsteckt. Also wir haben untersucht, wie sich die Berufe und Skills in unserer Branche entwickeln, also welche werden weniger, welche werden stärker nachgefragt. Und all das haben wir gemacht, indem wir uns weltweit Stellenausschreibungen für unsere Branche angeschaut haben und mit einer KI drüber gegangen sind, um sie zu analysieren.
Tobias Göpel: Das ist schon mal der erste Punkt für mich. Der Report hat ja, so habe ich das verstanden 54.000 Stellenanzeigen in einem fest definierten Zeitraum ausgewertet. Und für mich sind die Stellenanzeigen eher ein Indiz dafür, den aktuellen Bedarf in Unternehmen festzustellen. Jetzt habt ihr gegebenenfalls auf der Zeitachse gesehen, wie sich die Bedarfe da verändert haben. Aber an sich ist es ja ein Blick in die Vergangenheit … Oder habt ihr noch weitere Faktoren, die da mit eingeflossen sind?
Andreas Ogrinz: Der Begriff Future Skills ist natürlich ein bisschen verwegen, die im strengen Sinne können wir die Zukunft nicht vorhersehen, so ehrlich müssen wir sein. Was wir aber können: Wir können ganz nah an die jüngere Vergangenheit ran. Also 450.000 Datenpunkte sind das aus China, aus den USA, aus Europa inklusive Deutschland. Und da können wir Stellenausschreibungen daraufhin analysieren, welche Skills und welche Kompetenzen, welche Berufsbilder da stärker nachgefragt werden. Und das Coole ist: Diese Stellenausschreibungen spiegeln eigentlich die Personalstrategie der Branche wider. Deswegen ist es nicht die Zukunft. Im strengen Sinne gebe ich dir recht. Aber wir können sehr, sehr aktuell schauen: Was wird zurzeit gefragt, und was wird sehr wahrscheinlich auch in den nächsten Jahren gefragt werden?
Tobias Göpel: Jetzt habt ihr jüngst den zweiten Report herausgebracht. Welche Veränderungen gibt es gegenüber dem ersten Report?
Andreas Ogrinz: Methodisch ist der zweite Report genauso gestrickt wie der erste. Wir stellen unseren Mitgliedern, das heißt den Mitgliedsunternehmen unserer Mitgliedsverbände, ein eigenes neues Dashboard zur Verfügung. Das ist ein Tool, mit dem man sich sehr zeitnah aktuelle Trenddaten rausziehen kann. Früher mussten wir den Report alle, na ja, jetzt drei Jahre analysieren. Das ist eine Ewigkeit im digitalen Zeitalter. Aber jetzt haben wir die Möglichkeit, zeitnah immer wieder Daten zu aktualisieren und das unseren Mitgliedern exklusiv zur Verfügung zu stellen. Das ist eine wichtige Neuigkeit neben ein paar anderen.
Tobias Göpel: Okay, das heißt, Unternehmen können gucken, wie andere auf dem Markt agieren, wie sie Stellen ausschreiben, und Rückschlüsse für sich ziehen.
Andreas Ogrinz: Richtig. Also wenn ein Unternehmen gut beraten ist, dann schaut es sich an, wie Wettbewerber auf dem Markt sich aufstellen. Und das kann man einmal auf einer volkswirtschaftlichen Ebene anschauen. China, USA sind wichtige digitale Ökonomien, aber auch sehr wichtige Chemie-Industriestandorte. Man kann aber das auch auf der Ebene der Unternehmen machen. Also es ist immer sinnvoll zu schauen, wie verhalten sich meine Wettbewerber? Investrieren sie zurzeit ganz stark in das Thema IT? Gehen die rein in neue Anlagen? Gehen wir rein in das Thema Nachhaltigkeit? Und das muss auf sich selber beziehen und schauen: Bin ich als Unternehmen strategisch noch richtig für die Zukunft, für die Transformation aufgestellt?
Tobias Göpel: Welche wesentlichen Trends sind denn jetzt in dem zweiten Report erkennbar?
Andreas Ogrinz: Die ganz großen Trends, die wir herauslesen: Digitalisierung, Agilität und Nachhaltigkeit. Man kann man beobachten, dass zurzeit die Unternehmen der chemischen und pharmazeutischen Industrie massiv in Skills auf diesen drei Themenfeldern investieren. Ich wiederhole Digitalisierung, Agilität und Nachhaltigkeit. Das sind erst mal drei Buzzwords. Wenn man aber da tiefer reingeht methodisch, sieht man, dass hinter jedem dieser Buzzwords ganz viele, teilweise Hunderte von Skills stehen.
Tobias Göpel: Ich würde mal sagen, dass bestimmte Begriffe auch anders aufgeladen sind zum Thema Agilität oder vielleicht sogar Nachhaltigkeit. Dass wir ein anderes Verständnis davon haben als zum Beispiel China und die USA. Was bedeuten diese Ergebnisse konkret für die Berufe in der chemisch pharmazeutischen Industrie hier in Deutschland?
Andreas Ogrinz: Man muss sagen, dass deutsche Berufe Berufsbilder was Eigenes sind, auch was ziemlich Reguliertes im positiven Sinne. Etwas, auf das sich Sozialpartner in Branchen immer wieder neu verständigen. Es gibt Ausbildungsordnungen zum Beispiel für Top-Berufe bei uns in der Branche, Chemiker oder Laborantin zum Beispiel oder viele andere Berufe, und die werden immer wieder neu angepasst. Ebenso die Skills, die nachgefragt werden von den Unternehmen. Die müssen natürlich irgendwo gefunden werden und da werden die Unternehmen kreativ sein. Die gucken teilweise auf den Arbeitsmarkt, die dann teilweise aber auch ihren Azubis diese Skills neu beibringen. Das kann dann mittelbar dazu führen, dass die Berufe, die Berufsbilder angepasst werden müssen. Aber das ist ein sehr indirekter Effekt. Und aus der Erfahrung heraus, und das möchte ich wirklich auch beruhigend sagen, sind Berufsbilder in Deutschland, wie wir das nennen, technologieoffen. Das heißt, wir können viele unterschiedliche Technologien und Skills, die damit einhergehen, innerhalb bestehender Ausbildungsordnungen abbilden. Das heißt, erst mal ändert sich nichts.
Tobias Göpel: Wenn sich nichts ändert, warum brauche ich dann den Report als Unternehmen?
Andreas Ogrinz: Na ja, weil ich natürlich schauen muss, ob ich die richtigen Skills habe, oder ist das ein richtiges Skill-Set? Das heißt, die Gesamtheit an Skills, die ich brauche, um die Transformation zu bewältigen. Und wir wissen ja, dass die Chemie- und Pharmabranche zurzeit in einer Transformation steckt. In einer Krise, kann man auch sagen, wo wir auf der einen Seite mit dem Problem konfrontiert sind, dass wir durchaus zu viele Menschen in Beschäftigung haben. Die müssen zum Teil sogar bei Umstrukturierungen freigesetzt werden. Das ist nicht so schön. Gleichzeitig müssen wir aber neue Leute gewinnen von extern, aber auch von intern, damit wir die richtigen Kompetenzen für die Transformation haben und das Bild darüber zu haben, was wir brauchen und was wir nicht mehr brauchen. Das ist erst mal wichtig, was man dann damit macht. Das ist ein zweiter Schritt. Und was ich mit den Berufsbildern sagen wollte, Tobias, war gar nicht so sehr, dass ich dann nie mehr etwas ändern wird. Ich wollte nur sagen, diese Berufsbilder sind einfach intelligent gestrickt, die sind tragfähig und können ein paar Jahre sehr, sehr gut funktionieren. Aber kann schon sein, dass wir in fünf Jahren sagen na ja, Chemiker ist vielleicht doch veraltet und die müssen da noch mal ran.
Tobias Göpel: Ich nehme für mich einmal den Punkt mit, dass in der Transformation Unternehmen gefordert sind, eine gewisse Weiterbildung von Mitarbeitenden durchzuführen. Und da kann der Report dazu dienen, sich zu orientieren. In welche Richtung sollte das gehen? Ich hatte letztens auch einen Podcast mit dem Landesbeauftragten für Biotechnologie, Herrn Professor Thines, und er meinte, dass wir immer globaler werden. Ich bekomme mit, dass immer mehr Führungskräfte aus dem Ausland für uns gewonnen werden können. Dieser Future Skills Report könnte durchaus auch dazu dienen, eine gewisse Attraktivität herzustellen. Dass wir uns als Unternehmen aufbauen, dass Leute mit entsprechenden Skills sich dann wohlfühlen und sagen: Das ist ein guter Ort hier in Deutschland.
Andreas Ogrinz: Ich würde sagen, du liegst auf jeden Fall teilweise richtig, indem wir den Future Skills nutzen. Als Unternehmen können wir natürlich unsere Stellen so stricken, dass wir die richtigen Leute bekommen. Wir haben letztes Jahr als Arbeitgeberverband ein größeres Projekt gemacht zum Thema Transformation der Chemiebranche. Da kam raus, dass die Attraktivität an verschiedenen Faktoren hängt, auch am Image der Branche, zum Beispiel auch als potenzielle Arbeitgeber. Und da haben wir alle unisono gesagt, die Unternehmen, die Verbände: Da muss die Chemiebranche insgesamt ran. Gerade bei den Kompetenzen, die wir für die Transformation brauchen, wo es in Richtung Nachhaltigkeitsskills geht, da bräuchten wir eigentlich Leute, die erst mal nicht bei der Chemie anklopfen würden. Ja, es wurde gesagt, Fridays for Future ist eine Klientel, die wir viel stärker ansprechen möchten. Aber die schauen nicht auf uns. Das ist eine Überspitzung gewesen, aber es ist viel Wahrheit dran. Wir müssen viel mehr Leute ansprechen, die eigentlich erst mal nicht nach uns schauen. Das ist eine schwere Aufgabe. Da ist der Future Skills Report ein Baustein, um das zu lösen.
Tobias Göpel: Das Image der Branche ist durchaus ein Punkt, aber was mich auch umtreibt ist: Inwiefern könnten die Schulen von diesem Future Skills Report profitieren? Oder anders gefragt: Welchen Impact siehst du da? Denn ich habe durchaus noch Schülerinnen und Schüler erlebt, die mit Basics kämpfen. Also der Einstellungstest, den viele Unternehmen haben, wird jetzt nicht von jedem wirklich bestanden. Und wenn wir jetzt noch von Skills sprechen, die gegebenenfalls darüber hinausgehen, dann wird es langsam eng. Also hättest du eine Bewertung, inwiefern dieser Report auch genutzt werden können, um den Schulen zu sagen: Guckt mal, da müssten wir oder die Bildungsministerien hin.
Andreas Ogrinz: Wir sollten den Report so viel wie möglich nutzen, um den Ministerien, den Schulen, dem Bildungssystem insgesamt zu zeigen, wie entwickelt sich der Arbeitsmarkt? Je mehr Arbeitsmarktnähe wir in das Bildungssystem reinbekommen, speziell in die Schulen, desto besser. Gleichzeitig bin ich an dem Punkt auch relativ klassisch unterwegs. Wir haben ja durch die letzte Pisastudie gesehen, dass bei elementaren Kulturtechniken einiges in Deutschland im Argen liegt. Lesen, schreiben, rechnen etc. – hier sollten wir massiv in die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer, in die Infrastruktur der Schulen, übrigens besonders der Berufsschulen investieren. Das Interesse am Thema Berufsorientierung und Arbeitsmarktorientierung ist doch noch recht schwach ausgeprägt an den Schulen.
Tobias Göpel: Okay, das heißt der Report ist durchaus was für Lehrerfortbildung, um ihnen mal zu zeigen, wo es in der Wirtschaft, in Industrie letztendlich hingeht.
Andreas Ogrinz: Ich finde schon. Man kann ihnen zeigen, wie sich die Wirtschaft entwickelt, was da zurzeit sich verändert. Aber man kann ihnen auch zeigen, was es für neue Instrumente gibt, um überhaupt an so ein Thema ranzukommen.
Tobias Göpel: Ich komme zurück zum Unternehmen. Und so zu meiner Abschlussfrage. Wir haben jetzt die Ergebnisse vorliegen. Du hast gesagt schön aufbereitet. Als PDF kommt man noch schnell an seine Ergebnisse ran. Ich denke jetzt mal an so ein 100 Mann Betrieb Abteilungen immer überfordert. Was mache ich jetzt damit? Und was werden aus deiner Sicht zu Handlungsempfehlungen?
Andreas Ogrinz: Du sprichst die zentrale Aufgabe an, nämlich die Übersetzungsaufgabe. Was der Report leistet: Er bietet Analysen der Skills, Trends und Berufetrends, und die muss man auf das eigene Unternehmen runterbrechen. Und das ist jetzt in der Tat der entscheidende Punkt. Ich weiß von Unternehmen wie BASF, dass die da eigene Projekte zu fahren. Die schauen sich unseren Report an, übersetzen den in eine Projektstruktur und überführen das dann in entsprechende Personalprozesse. Und ein Punkt ist vollkommen richtig: Wir sind eine sehr stark KMU geprägte Branche. Das ist das nicht so ohne. Ja, das heißt, letzten Endes hängt es von den Inhaberinnen und Inhabern und den Top-Führungskräften ab, sich das anzuschauen und sich das mit ihren Leuten gemeinsam zu übersetzen. Der Report hat verschiedene Zielgruppen. Er spricht einmal das Top-Level der Unternehmen an. Er spricht aber auch die ganz normalen Führungskräfte irgendwo im Mittelbau an. Und ebenso die einzelnen Beschäftigten. Die können ja auch sehen, wohin entwickelt sich eigentlich das Unternehmen? Wie muss ich mich vielleicht noch mal entwickeln, was das Thema Weiterbildung angeht? Und sogar die Betriebsräte werden angesprochen. Allen Zielgruppen ist gemein: Es macht ganz viel Sinn, sich mit den Skills-Trends in der eigenen Branche auseinanderzusetzen, weil man seine Beschäftigungsfähigkeit sichern muss. Und das kann man eben nur, indem weiß, was gefragt wird.
Tobias Göpel: Ich finde, es war schon ein perfektes Schlusswort. Lieben Dank für diesen kurzen Einblick! Ich hoffe, viele nutzen das. Kannst du noch sagen, wo man diesen Future Skills Report runterladen kann?
Andreas Ogrinz: Googelt mal Future Skills, Report, Chemie und dann findet ihr das Ding sofort. Es gibt den Report auf Deutsch und auf Englisch. Man muss ihn auch gar nicht runterladen, man kann sich durchklicken und findet alles. Man kann aber auch als PDF-Version herunterladen. Also viele Wege führen nach Rom.
Tobias Göpel: Ah super, das Dashboard, das bekommen die Mitgliedsunternehmen über die Mitgliedsverbände oder direkt zentral über den BAVC.
Andreas Ogrinz: Das kriegen sie über die Mitgliedsverbände oder über den BAVC. Wir alle verfügen über diese Daten, aber ganz wichtig: Nur die Mitglieder der Chemie-Arbeitgeberverbände dürfen da rein.
Tobias Göpel: Das sind ja auch die treuen Hörer dieses Podcasts. Im Future Skills Report steckt viel Arbeit drin. Ich hoffe, dass viele Unternehmen die Ergebnisse gut nutzen können. Zum Beispiel, dass für die Personalentwicklung oder auch für die Zukunftstrends. Ja, liebe Zuhörende, heute hatten wir Andreas Ogrinz vom Bundesarbeitgeberverband Chemie zu Gast. Er ist Ko-Autor des Future Skills Reports. Den Link zum Report übrigens auch in den Shownotes zu dieser Episode. Wenn Sie Fragen, Hinweise oder sogar Lob haben, dann senden Sie mir eine Mail an podcast@wir-hier.de. Vielen Dank und bis bald, Ihr Tobias Göpel.