Fehlzeiten wegen Krankheit befinden sich auf einem hohem Niveau. Ab wann wird es kritisch mit den Krankheitstagen, zum Beispiel für Azubis? Und wie meldet man sich korrekt krank? Darum geht es in dieser Podcastfolge. Hören Sie rein und abonnieren Sie Wir.Hear. zum Beispiel bei Spotify.
Tobias Göpel: Die chemische Industrie hat viele Herausforderungen in der Transformation zu stemmen. Zum Beispiel werden durch den hohen Krankenstand viele Betriebe zusätzlich belastet. Rund 70 Milliarden € mussten die deutschen Betriebe 2022 aufbringen, um den Lohn trotz Krankheit der Beschäftigten zu zahlen. Sicher, es gibt begründete Fälle, und die Gesundheit geht selbstverständlich vor. Welche Folgen es haben kann, einfach mal blau zu machen und wie Beschäftigte und Unternehmen rechtzeitig eine Lösung finden können, das ist Thema dieser Podcastfolge.
Ich bin Tobias Göpel, und mit mir spricht heute Ralf Fehler. Er ist Anwalt beim Arbeitgeberverband Chemie in Rheinland Pfalz. Hallo Ralf, schön, dass du da bist, und mit meiner Begrüßung gleich meine erste Frage an dich: Wie viel Fehltage sind eigentlich okay?
Ralf Fehler: Gleich bei der ersten Frage neige ich zum altbekannten juristischen Reflex: Das kommt darauf an. Als Arbeitgebervertreter, als der ich jetzt hier befragt werde, sage ich natürlich am liebsten: null Fehltage. Aber allen Beteiligten ist natürlich klar, dass es immer wieder Fälle geben kann, wo eben Fehlzeiten produziert werden durch einen krankheitsbedingten Ausfall. Wann wir allerdings als Arbeitsrechtler oder an welcher Stelle wir ins Überlegen und Grübeln kommen, das ist durch die Rechtsprechung gefüttert worden.
Denn Arbeitgeber haben die Möglichkeit, ein Beschäftigungsverhältnis zu beenden aus krankheitsbedingten Gründen, wenn über einen längeren Zeitraum eine negative Prognose entstanden ist. So eine negative Prognose entsteht immer dann, wenn ein Arbeitnehmer über einen gewissen Zeitraum – die Rechtsprechung orientiert sich hier in der Regel an den letzten zwei, drei Jahren – deutlich über sechs Wochen Fehlzeiten aufweist. Dann haben wir eine negative Prognose. Als Arbeitgeber gehen wir davon aus, dass auch in Zukunft wieder solche Fehlzeiten auftauchen werden. Die sechs Wochen beziehen sich auf das Jahr. Wobei das nicht unbedingt das Kalenderjahr sein muss. Also wenn jemand im Mai erstmalig krank ist und dann bis zum Folge Mai deutlich über sechs Wochen Fehlzeiten hatte, dann wäre das schon dieses erste Häkchen, das in die Prüfung einsteigen lässt für eine krankheitsbedingte Kündigung.
Tobias Göpel: Okay. Und wie sieht das in der Probezeit aus?
Ralf Fehler: Rechtlich weder durch Gesetzgeber noch durch Rechtsprechung gibt es da Vorgaben. Aber rein praktisch gedacht: Ein Arbeitgeber hat es in den ersten sechs Monaten leichter zu kündigen. In dieser Zeit ist das Kündigungsschutzgesetz noch nicht anwendbar, was heißt: Er braucht keine soziale Rechtfertigung. So nennen wir Juristen das. Er kann also auch, ohne dass krankheitsbedingte – meist dann nennt man das personenbedingte Gründe – verhaltensbedingte oder betriebsbedingte Gründe vorliegen, eine Kündigung aussprechen. Stelle ich also als Arbeitgeber in den ersten sechs Monaten fest: Ich konnte gar keinen Eindruck gewinnen, weil mir jemand andauernd fehlt, nd habe ich keinen plausiblen Grund, der mich davon ausgehen lässt, dass das zukünftig nicht der Fall sein wird, liegt es wahrscheinlich nahe, dass so mancher Arbeitgeber schon allein deshalb die Reißleine ziehen wird. In der Probezeit die Kündigung aufgrund von Fehlzeiten ist ja eine Möglichkeit, aber auch letztendlich eine sehr harte Option.
Tobias Göpel: Gibt es auch Möglichkeiten, dass ein Betrieb wegen zu hoher unentschuldigter Fehlzeiten die Ausbildungsvergütung oder gar den Lohn kürzen kann?
Ralf Fehler: Der Jurist hört ganz genau hin, und sobald ich unentschuldigt Fehlzeiten höre, denke ich als Jurist an einen Grundsatz, der nur durch spezielle gesetzliche Regelungen ausgehebelt wird. Und dieser Grundsatz heißt: Ohne Arbeit kein Lohn. Wer also fehlt und keine, wie du es formulierst, Entschuldigung liefert, wie beispielsweise die krankheitsbedingte Fehlzeit, der bekommt keinen Lohn.
Also es bedarf eines Entgeltfortzahlungsmechanismus, den wir zum Beispiel aus dem Entgeltfortzahlungsgesetz im Zusammenhang mit Erkrankungen kennen, aber beispielsweise auch wer Betriebsratstätigkeiten leistet oder wer im Rahmen des Mutterschutzes fehlt, bekommt sein Entgelt vor Ort gezahlt.
Tobias Göpel: In dem Zusammenhang mit Fehlzeiten wird auch immer von Arbeitszeit Betrug gesprochen. Was kann ich mir darunter eigentlich vorstellen?
Ralf Fehler: Ich glaube, das ist ein Irrtum. Also der klassische Arbeitszeit Betrug, der sieht in etwa so aus, dass ich morgens am Werkstor einsteche, mich in mein Büro setze, die Jalousien runterlasse, das Zimmerchen abschließe, mich hinlege und schlafe. Das wäre Arbeitszeitbetrug. Oder ich steche nicht aus. Ich gehe aber nach Hause und in Absprache mit einem Kollegen sticht dieser mich dann zu den tatsächlichen vorgegebenen Arbeitszeiten aus. Das wäre der klassische Arbeitszeitbetrug. Worauf du aber hinauswillst, das ist der Missbrauch, der tatsächlich auch stattfindet. Gott sei Dank ist es nicht die Regel. Es sind seltene Fälle, aber in der Masse tut das den deutschen Arbeitgebern weh. Das ist der Fall, wo jemand vorgibt, krankheitsbedingt zu fehlen, wo dies aber tatsächlich eigentlich nicht der Fall ist. Und jetzt will ich ganz kurz vielleicht darauf zurückkommen.
In der Einleitung hast du angesprochen, dass die deutschen Arbeitgeber, im Jahr 2022 war das der Fall, 70 Milliarden € Entgeltfortzahlung leisten mussten. Uns liegen jetzt seit zwei Wochen Schätzungen vom Institut der deutschen Wirtschaft vor. Die weisen für das Jahr 23 noch mal eine gewaltige Erhöhung auf insgesamt 76,7 Milliarden € aus. Und wenn wir uns jetzt überlegen von dieser riesigen Summe, die da im Raum steht, ist eben auch tatsächlich nicht zu vernachlässigender Teil aufgrund von Missbrauch etwas, was Arbeitgeber leisten, dann halte ich das für bedenklich.
Tobias Göpel: Und die deutschen Arbeitgeber sind, glaube ich, gut beraten zu überlegen, wie man dem entgegenwirken kann. Ja, da kommen wir gleich noch mal drauf, wie man damit umgehen kann. Und ein Punkt interessiert mich noch. Deswegen springe ich noch mal zurück. Fehlzeiten. Wir hatten jetzt die Kündigung, wir hatten Lohnkürzungen und jetzt bei Azubis ganz speziell ist es ja so, dass sie nach zwei oder dreieinhalb Jahren, je nachdem wie die Ausbildung ist, ja dann auch zur Prüfung gehen.
Und haben zu hohe Fehlzeiten auch Auswirkungen auf die Prüfung, also die Zulassung zur Prüfung zum Beispiel?
Ralf Fehler: Ja, das ist tatsächlich richtig. Da gibt es Vorgaben, die die IHKs veröffentlichen, und dort orientieren wir uns an Werten, die zu kritischen Überlegungen führen können. Ab etwa 10 Prozent Fehlzeiten, weil dann eben einfach im Rahmen der Ausbildung Ausbildungsbetrieb und Berufsschule nicht mehr in der Lage waren, das Wissen in der ausreichenden Tiefe zu vermitteln, um einen erfolgreichen Prüfungsabschluss erhoffen zu können.
Und dies kann dann tatsächlich auch zur Beendigung des Ausbildungsverhältnisses führen, was wir vermeiden wollen.
Tobias Göpel: Und da jetzt meine Frage: Wie meldet man sich eigentlich richtig krank, um nicht in den Verdacht des Missbrauchs zu kommen? Ja, auch das erleben wir häufig, dass da einfach so ein bisschen Unklarheit vorhanden ist.
Ralf Fehler: Es gibt immer wieder Arbeitnehmer, die Jahre, Jahrzehnte ohne irgendeinen einzigen Fehltag der Arbeit nachgegangen sind. Und wenn dann tatsächlich dieser bedauerliche Fall der Erkrankung auftritt, der zur Arbeitsunfähigkeit führt, ist sich häufig der mit Fieber im Bett liegender Beschäftigte nicht im Klaren darüber, was er zu tun hat. Das ist ganz einfach. Der Gesetzgeber hat das geregelt im Entgeltfortzahlung Gesetz.
Wir kennen da zwei Dinge, die der erkrankte Arbeitnehmer umsetzen muss. Das ist zunächst mal die sogenannte Anzeige der Arbeitsunfähigkeit. Wenn man also landläufig von der Krankmeldung spricht, dann sagt der deutsche Gesetzgeber, hat dazu eine Arbeitsunfähigkeitsanzeige zu erfolgen, und zwar ohne schuldhaftes Zögern. Das ist die Definition des Begriffes unverzüglich, den der Gesetzgeber gebraucht. Das heißt im Idealfall vor Arbeitsbeginn.
Spätestens aber zum Arbeitsbeginn sollte ich meinen Arbeitgeber darüber informieren, dass ich erkrankt bin. Und jetzt kommt ein wichtiger zweiter Kniff dazu. Der Gesetzgeber fordert in diesem Zusammenhang auch vom Arbeitnehmer, dass er dabei eine Einschätzung abgibt, wie lange er voraussichtlich fehlen wird. Also wenn wir das mal durchspielen würden: Du bist mein Chef, ich habe einen Arbeitsbeginn um 8:00. Dann sollte spätestens um 7:59 mein Griff zum Telefonhörer erfolgen.
Und dann rufe ich an und sag: Herr Goebel, Fehler hier! Ich bin leider krankheitsbedingt nicht in der Lage, heute die Arbeit aufzunehmen. Ich gehe aber davon aus, dass ich Freitag wieder im Büro sein werde. Das habe ich also beides gemacht. Ich habe einmal diese zeitliche Vorgabe eingehalten, unverzüglich gehandelt, und ich habe dir die Möglichkeit verschafft, zu planen, zu koordinieren, die mir eigentlich obliegenden Aufgaben an andere Arbeitnehmer zu delegieren und eben für Vertretung zu sorgen.
Tobias Göpel: Das klingt für mich jetzt erst mal relativ einfach, aber dennoch scheint es ja Fehler zu geben. Was sind die häufigen Fehler bei so einer Krankmeldung?
Ralf Fehler: Ja, häufiger Fehler ist tatsächlich, dass die Arbeitnehmer erst mal zum Arzt gehen. Wir wissen es alle, wenn wir in den letzten Jahren mal einen Arzt aufgesucht haben, das ist nicht mehr so wie früher, ist, dass man einige Minuten wartet und dann rein gerufen wird. Es sei denn, man hat wirklich schwerster Erkrankung oder muss in die Notfallambulanz, sondern das kann schon mal mit einem stundenlangen Warten auch im Wartezimmer des Arztes einhergehen. Dann kommt die Untersuchung. Ich begebe mich wieder nach Hause. In dieser Zeit vergeht eben wichtige Zeit, in der der informierte Arbeitgeber schon für Vertretung hätte sorgen können. Und das ist etwas, was nicht tolerabel ist.
Das heißt, erst nach dem Arztbesuch da Kenntnis zu verschaffen davon, dass man heute krankheitsbedingt die Arbeit nicht aufnehmen wird, wären Fehler, wäre eine Pflichtverletzung. Ein weiterer Punkt, der aus der Praxis uns häufig unterkommt, ist, dass man in der Fahrgemeinschaft oder jemanden anderen bittet, dem Arbeitgeber Bescheid zu sagen und dann geht diese Info irgendwie verschütt geht. Auch da muss man den Arbeitnehmern zurufen, dass sie eben in der Verantwortung dafür sind, dass der Arbeitgeber diese Info erhält.
Tobias Göpel: Also ich habe es verstanden. Erst anrufen, dann zum Arzt gehen. Die Wartezeit ist in der Tat sehr sportlich. Ich kann es mir aber auch einfach machen. Es gibt ja die Möglichkeit der telefonischen Krankschreibung. Es geht da viel schneller, effektiver und ich kann im Zweifelsfall auch meinem Arbeitgeber gleich sagen, wie lange ich wohl krank bin vom Arzt aus. Wie bewertest du diese telefonische Krankschreibung?
Ralf Fehler: Ja, das hat für uns, und jetzt spreche ich mal von der Gesellschaft, durchaus Vor-, aber auch Nachteile. Der Arzt vor Ort wird entlastet, die Wartezimmer müssen nicht mehr so überfüllt den Arzt zur Last fallen. Aber es ist auch so, dass tatsächlich die Bestimmungen, die gesetzlichen Vorgaben diesbezüglich relativ komplex sind. Ich will es vielleicht mal kurz versuchen zu erörtern.
Wenn ich mich krankschreiben lassen will, beispielsweise über eine Video-Sprechstunde, dann kann der Arzt das bei mir als Patienten, den er nicht kennt, bis zu einer Dauer von drei Tagen tun. Bei dem ihm bekannten Patienten kann er es für eine Dauer von sieben Tagen tun, allerdings nur, wenn die Krankheit selber eine Abklärung über Video-Sprechstunde zulässt. Und bei der telefonischen Anamnese und Krankschreibung über das Telefonat mit dem Arzt ist es eben so, dass der Patient entweder bekannt ist und wenn dies der Fall ist, kann er bis zu fünf Kalendertagen arbeitsunfähig, krankgeschrieben werden. Wenn er dies nicht ist, dann ist das dem Arzt verunmöglicht, über ein reines Telefonat eine Arbeitsunfähigkeit zu diagnostizieren. Meine Sorge bei dem Ganzen ist eben, dass auch dem Missbrauch die Tür etwas weiter geöffnet wird, weil es mir der bequemere Weg ist, als in der Praxis zu erscheinen und da möglicherweise einem Arzt etwas vorführen kann, fällt mir am Telefon möglicherweise oder auch bei der Video-Sprechstunde etwas leichter, dies zu tun.
Und da ist meine Sorge schon, dass auch gerade bei jungen Leuten, die etwas technikaffiner sind, dies dazu beiträgt, dass möglicherweise der eine oder andere Tag Arbeitsunfähigkeit mehr anfällt. Da kann man sicherlich nicht alle über einen Kamm scheren, das muss immer ganz klar sein. Aber noch mal mit Blick auf diese unglaubliche Masse an Fehlzeiten und auch mit Blick auf die hohe Zahl der Entgeltfortzahlung kosten ist es so, dass Missbrauchsfälle in der Summe einfach sehr, sehr schmerzen.
Tobias Göpel: Könnte ein Arbeitgeber auch quasi dem Arzt das Vertrauen entziehen und sagen: Schön, dass du da warst, aber bitte geh noch zu einem anderen, weil ich mir unsicher bin, ob das alles so koscher ist.
Ralf Fehler: Diese Konstellation kennen wir, die ist sogar tatsächlich auch im Gesetz und in der Rechtsprechung aufgehängt. Die gilt aber nur für die Fälle, wo sich ein Arbeitnehmer im Ausland aufhält, beispielsweise im Urlaub erkrankt. Für die Fälle, wo wir von einem deutschen Arbeitgeber eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt bekommen durch einen Privatpatienten oder als Arbeitgeber von der Krankenkasse abrufen, ist dies so detailliert nicht aufgenommen und möglich.
Wir können aber schon, und da ist die Rechtsprechung auch etwas freundlicher inzwischen unterwegs aus Arbeitgebersicht, eine solche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung anzweifeln, wenn die tatsächlichen Umstände eben diese Zweifel begründen. Ich will vielleicht mal so den Klassiker dazu darstellen, wenn jemand immer wieder im Zusammenhang mit Brückentagen erkrankt und dabei auffällig ist, dass immer nur ein Tag Arbeitsunfähigkeit vorliegt. Oder wenn ein Arzt, der bekannt ist dafür, dass er tatsächlich sehr schnell und sehr häufig eben diese berühmten eintägigen krankheitsbedingten Ausfallzeiten bescheinigt.
Oder, und das ist das, was tatsächlich relativ häufig auftritt, wenn zwischen Krankheitszeiten nur kurze Unterbrechungen liegen und der Arbeitnehmer eine neue Erkrankung behauptet, dann kann man tatsächlich anzweifeln, ob wirklich die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorliegt oder in der Gestalt vorliegt, dass es sich um eine neue Erkrankung handelt. Im Rahmen einer solchen Falles kann dann der Arbeitgeber möglicherweise die Entgeltfortzahlung verweigern.
Und dann müsste der Arbeitnehmer darlegen und beweisen, warum tatsächlich eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorgelegen hat. Das klingt jetzt sehr komplex, hat ja meistens was mit Vertrauensverhältnis zu tun. Sicher ist: Erst mal anrufen, den Arbeitgeber informieren und zweitens idealerweise zum Arzt gehen, der vor Ort ist, auch wenn man erst einmal 2 bis 3 Stunden dort sitzt.
Ja, ich will vielleicht noch mal ganz kurz präzisieren und nachgreifen. Ich will ganz deutlich machen: Es ist nicht so, dass wir hinter jedem Baum einen Missetäter vermuten. Auch deutsche Arbeitgeber wissen, dass der Missbrauch gerade im Zusammenhang mit krankheitsbedingten Fehlzeiten der Ausnahmefall ist. Aber dieser Ausnahmefall schmerzt umso mehr. Ich will nicht erneut auf die hohen Kosten verweisen, sondern auch auf die betrieblichen Folgen.
Häufig ist das ein Gesprächsthema zwischen den Kollegen. Man unterhält sich darüber, man zweifelt selber die Erkrankung an, und das kann empfindlich auch den Betriebsfrieden stören.
Tobias Göpel: Das bringt mich auf einen Punkt zum Thema Vertrauen. Misstrauen. Ich bin krankgeschrieben, darf mich aber draußen bewegen. Und wie ist das eigentlich, wenn ich den Chef plötzlich draußen treffe, obwohl ich krankgeschrieben bin?
Ralf Fehler: Auch dem Arbeitgeber muss klar sein: Das Verhalten, das der Arbeitnehmer während der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit schuldet, darf die Genesung nicht gefährden. Er hat aber gleichzeitig auch alles dazu beizutragen, dass die Genesung möglichst schnell voranschreitet. Wer sich also mit einer Depression irgendwo im Schlafzimmer verzieht, die Jalousien runterlässt, Kuschelrock 6 anmacht, der wird möglicherweise genau dies nicht tun, also zur schnellen Genesung beitragen. Bei einer Erkältung kann zum Beispiel ein kleiner Spaziergang an der frischen Luft dazu beitragen, dass die Genesung schneller vorangetrieben wird.
Und genau diesen Umstand, was für eine Erkrankung hinter der Arbeitsunfähigkeit steckt, kennt der Arbeitgeber nicht. Klar muss allerdings sein, wenn ich während einer krankheitsbedingten Fehlzeiten Tätigkeiten durchführe, die ich üblicherweise auch im Arbeitsverhältnis durchführe, dann entstehen natürlich tatsächlich auch, wie ich finde, berechtigte Zweifel. Also bei dem Paket- oder Postzusteller, der viel laufen muss während der Arbeit. Wenn der vom Chef dabei angetroffen wird, wie an einem Marathon teilnimmt, dann kann ich die berechtigten Zweifel nachempfinden.
Aber wer einkaufen geht, wer vielleicht auch tatsächlich mal im Freibad schwimmen geht, weil er beispielsweise einen Rückenleiden hat und ihm Bewegung verordnet wurde, der verhält sich genauso, wie es die Arbeitgeber sich wünschen.
Tobias Göpel: Wenn ich jetzt in Richtung Verwaltung schaue und die Option, dass es auch Homeoffice gibt, wie sieht es denn da aus? Also bedeutet dann eine Homeoffice-Option, dass ich dann vielleicht sage, ich komme heute nicht in den Betrieb, weil ich krank bin?
Ralf Fehler: Aber ich arbeite von zu Hause aus quasi so halb nicht richtig krank, nicht richtig da. Oder wenn ich krank bin, heißt das auch, dass ich mich fürs Homeoffice krank zu melden habe. Tatsächlich ist es so, dass die Einschätzung dem Arzt obliegt. In der Regel ist der Arbeitgeber und erst recht ich, wir sind medizinische Laien und können nicht einschätzen, ob die Erbringung von Arbeitsleistung dazu führt, dass jemand länger krank ist. Das gilt es zu verhindern. Wenn ich jetzt beispielsweise die Möglichkeit habe, aus dem Homeoffice meine Arbeitsleistung zu erbringen, und zwar ohne dass das die Genesung gefährdet, und der Arzt hat davon Kenntnis, dann darf er mich eigentlich nicht arbeitsunfähig schreiben. Der Arzt muss immer beobachten und prüfen, wie konkret sich die vorliegende Erkrankung mit der zu erbringenden Arbeitsleistung in Einklang bringen lässt, ohne dass die Genesung gefährdet wird.
Also es kann schon sein, dass ich krank bin, aber trotzdem arbeitsfähig. Dann aber nicht im Betrieb, sondern im Homeoffice, und dann passt das Ganze auch. Ja, korrekt. Früher habe ich immer zwei Beispiele genutzt, um diese krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit, die vorliegen muss, plausibel darzulegen. Der Opernsänger, der heiser wird, der kann seine Arbeitsleistung nicht erbringen. Die allein als Schreibkraft tätige Arbeitnehmerin, die kann dies tun.
Das heißt, es ist tatsächlich auch zu beobachten, dass Ärzte häufig in Unkenntnis der zu erbringenden Leistungen eher vorsorglich schneller krankschreiben, als es vielleicht ein kritisch prüfender Arzt tun würde.
Tobias Göpel: Wie hängen innere Kündigung oder auf der anderen Seite ein gutes Betriebsklima und starker Team Zusammenhalt mit Fehlzeiten zusammen? Also ist aus dem Gespräch mit Unternehmen zu beobachten, dass hohe Fehlzeiten auch dazu führen, dass das Team zerbricht oder dass auch Fehlzeiten darauf zurückzuführen sind, dass Menschen innerlich gekündigt haben und eigentlich keine Lust mehr auf den Job haben?
Ralf Fehler: Ja, das ist tatsächlich der Fall. Und zwar sowohl aus den Berichten, die ich höre, aus den Unternehmen als auch im Zusammenhang mit Rechtsstreitigkeiten, die schon mal geführt werden. Bei krankheitsbedingten Kündigungen hört man häufig so was wie einen Rechtfertigungssatz: Aber das machen doch alle. Und tatsächlich höre ich auch häufig, dass durch die Fehlzeiten von Kollegen vorher gesunde Arbeitnehmer irgendwann so aus- und überlastet sind, dass sie selbst erkranken. Auch der Umstand, dass eben innerbetrieblich sehr wohl auch zwischen den Arbeitnehmern, nicht nur zwischen der Personalabteilung und dem erkrankten Arbeitnehmer, sondern auch zwischen dem erkrankten Arbeitnehmer und seinen Kollegen häufig eine Aufarbeitung, stattfindet, führt nicht selten dazu, dass das Betriebsklima empfindlich gestört wird.
Tobias Göpel: Was konkret kann aus deiner Sicht ein Betrieb gegen zu hohe Fehlzeiten unternehmen?
Ralf Fehler: Also ich glaube, der richtige Ansatz ist als Arbeitgeber sich zunächst mal klarzumachen, dass es eine ganze Palette von Hebeln geben muss, die den Fehlzeiten entgegenwirken sollten. Es gibt keine One-Fits-All-Lösung. Wir werden auch kein Unternehmen hier in Deutschland betreiben können, ohne dass wir durch Fehlzeiten belastet werden. Menschen werden eben krank. Aber ich kann durch Austausch, durch Kommunikation viel tun.
Ich kann auch viel dadurch tun, dass ich mein Ohr in die Belegschaft werfe, versuche auch tatsächlich, die Auswirkungen von Fehlzeiten abzufangen, indem ich hier Gespräche führe und versuche zu unterstützen. Insbesondere muss ich tatsächlich den erkrankten, längerfristig erkrankten oder immer wieder erkrankten Arbeitnehmer vielleicht auch mehr in den Fokus rücken. Ich muss mich mit ihm beschäftigen, Ich muss mich vielleicht auch orientieren in der Kommunikation mit ihm, was ich als Arbeitgeber tun kann, um erneute Fehlzeiten zu verhindern.
Dazu gibt es im Übrigen eine gesetzliche Verpflichtung seit einigen Jahren, das sogenannte BEM, das betriebliche Eingliederungsmanagement. Und ich glaube, Arbeitgeber, die dies vernachlässigen, sind eben nicht gut beraten, weil: Nicht selten ist es der Fall, dass man beispielsweise durch eine Umsetzung, eine Versetzung, aber auch durch helfende Maßnahmen, Gehhilfen oder ähnliches, versuchen kann, tatsächlich eine erneute Fehlzeiten zu verhindern.
Was schön wäre: Verständnis auf Arbeitnehmerseite zu wecken. Zumindest das Verständnis, dass es heutzutage nicht mehr angezeigt sein kann, in diesen für viele Arbeitgeber sehr belastenden Zeiten – Fachkräftemangel, hohe Fehlzeiten aufgrund von immer älter werdender Belegschaft – als junger Mensch, nur um mir einen zusätzlichen freien Tag zu verschaffen, eine Möglichkeit zu finden, vielleicht über Missbrauch diese freien Tage zu generieren.
Tobias Göpel: Vielen lieben Dank. Ich nehme für mich mit: Kranksein ist grundsätzlich okay. Wer allerdings bewusst blau macht, setzt als Azubi seine Ausbildung aufs Spiel, weil er vielleicht für die Prüfung nicht zugelassen wird, setzt gegebenenfalls sogar die Fortführung der Ausbildung aufs Spiel, weil der Arbeitgeber sagt: So kann das Ganze nicht funktionieren. Die Kosten hast du angesprochen. Und das letzte, was mich jetzt aber auch noch nachdenklich gestimmt hat: Wer blau macht, macht das zulasten des Teams und belastet damit andere zusätzlich, weil die ja die Lücke füllen müssen.
Vielen Dank, lieber Ralf, dass du dir die Zeit für das Gespräch genommen hast. Und das war's auch schon für unsere heutige Folge. Ich hoffe, Sie konnten viele hilfreiche Tipps und Anregungen mitnehmen. Weitere Informationen von Anwalt Ralf Fehler gibt es online und in der aktuellen Ausgabe Nummer 23 unter dem Stichwort Pikante Fragen. Abonnieren Sie gerne unseren Podcast, damit Sie keine Folge mehr verpassen. Ich bin Tobias Göpel und freue mich, wenn Sie mir schreiben an podcast@wir-hier.de. Bis bald! Bis zum nächsten Mal, und bleiben Sie neugierig.