Politik & Wirtschaft

Podcast Wir. Hear. - Sicherheit am Arbeitsplatz

· Lesezeit 20 Minuten.
Beschäftigte mit Schutzhelm, Foto: stock.adobe.com - sittinan
Beschäftigte mit Schutzhelm: Sicherheit am Arbeitsplatz sollte man nicht nur als Pflicht, sondern als zentrale Verantwortung sehen. Foto: stock.adobe.com - sittinan

Risikofaktor Mensch: In unserer neuesten Podcast-Folge blicken wir gemeinsam mit dem Unternehmensberater und Managementtrainer Dr. Wolfgang Höfling über den Tellerrand der Arbeitsplatzsicherheit. Wir erklären, wie Führungskräfte und Mitarbeitende gemeinsam eine Kultur schaffen, in der Sicherheit gelebt und nicht nur auf dem Papier verwaltet wird. 

Hören Sie rein und abonnieren Sie Wir. Hear. zum Beispiel bei Spotify.

 

Tobias Göpel: Willkommen zur neuesten Folge unseres Podcasts. Heute tauchen wir in die Welt der Sicherheitskultur ein. Das Thema ist nicht nur relevant für die chemische Industrie, sondern für jede Organisation, die eine sichere und überzeugende Arbeitsumgebung schaffen möchte. Bleiben Sie dran. Sie sitzen an Ihrem Schreibtisch, konzentriert bei der Arbeit, und plötzlich verschütten Sie Kaffee, Tee oder Wasser über Ihre Tastatur. Ärgerlich, nicht wahr? Aber hier in dieser Podcastfolge geht es um mehr als nur verschütteten Kaffee. Sicherheit am Arbeitsplatz, wie Sicherheit überhaupt, steht in der chemischen Industrie an oberster Stelle, sei es in der Produktion, der Verwaltung oder auf dem Werksgelände im Allgemeinen. Das Sicherheitsbewusstsein dazu ist jedoch nicht einfach da. Es muss geschaffen werden. Was beeinflusst das Verhalten? Und wie sieht ein idealer Weg dahin aus? Dazu spreche ich jetzt mit Dr. Wolfgang Höfling. Hallo, Herr Höfling.

 

Wolfgang Höfling: Hallo, Herr Göpel.

 

Tobias Göpel: Herr Höfling, ich finde es schön, dass wir heute ins Gespräch kommen, weil Sie Unternehmen in der Entwicklung einer Sicherheitskultur beraten. Und ich starte einfach mal mit meinem Erleben, bevor ich die erste Frage stelle. Es gibt bereits viele Sicherheitsmaßnahmen, die darauf abzielen, das Verhalten der Mitarbeitenden im täglichen Arbeitsablauf im Sinne der Sicherheit zu beeinflussen. Dennoch meldeten die gesetzlichen Unfallversicherungsträger für 2022 rund 780.000 meldepflichtige Arbeitsunfälle. Wie kann es aus Ihrer Sicht trotz dieser Maßnahmen zu diesen Unfällen kommen?

 

Wolfgang Höfling: Ja, das ist eine interessante Zahl, mit der Sie mich jetzt hier konfrontieren. Auch eine interessante Frage, denn es wird wirklich ungeheuer viel unternommen, um Sicherheit am Arbeitsplatz herzustellen oder Sicherheit überhaupt zu garantieren. Ich vermute, dass Sie Wegeunfälle in die Statistik aufgenommen haben oder dass diese integriert sind. Eventuell haben auch die Interventionsmöglichkeiten der Unternehmen Grenzen. Denn sie können zwar in Unternehmen auf das Verhalten der Mitarbeiter einwirken, aber leider nicht unbedingt außerhalb. Ein zweiter Grund kann sein, dass viele der Maßnahmen, die ich eben genannt habe, sogenannte reaktive Maßnahmen sind oder auf eine extrinsische Motivation der Beschäftigten zielen. Mit extrinsisch meine ich, dass ich etwas mache, weil jemand anderes etwas von mir erwartet. Eine solche extrinsische Motivation hat leider immer Grenzen. Sie erfordert immer den externen Antrieb oder den externen Stimulus, damit wir uns entsprechend sicher verhalten. Das ist eines der Probleme, über die wir sicherlich weiter sprechen werden.

 

Tobias Göpel: Also das eine sind die Grenzen, die ich versuche zu setzen, und die Vorschriften, besser gesagt, die ich dann vorgebe. Das andere ist die Frage: Halten sich die Mitarbeitenden daran, und in welcher Form oder wie kann ich das kontrollieren? Jetzt habe ich Sie ja so verstanden, dass es auch darum geht, dass die Menschen aus sich heraus zu einer gewissen Überzeugung kommen. Wie versucht man da aus Ihrer Sicht auf das Verhalten der Mitarbeitenden Einfluss zu nehmen?

 

Wolfgang Höfling: Ganz generell ist es eine Frage der Qualifizierung. Man versucht, über Unterweisungen Einfluss auf das Verhalten zu nehmen, sowohl durch Unterweisungen als auch durch Kommunikation, Sicherheitsgespräche und indem man Mitarbeitende in Aktivitäten der Sicherheitskultur einbindet. Das kann beispielsweise bedeuten, dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Gefährdungsbeurteilungen, Sicherheitsunterweisungen und Vor-Ort-Begehungen eingebunden werden. Auf diese Weise versucht man, auf das Bewusstsein der Mitarbeiter Einfluss zu nehmen.

 

Tobias Göpel: Wo sehen Sie einmal die Chancen, die man mit dieser von Ihnen beschriebenen Vorgehensweise erreichen kann? Und wo sehen Sie die Grenzen davon?

 

Wolfgang Höfling: Also die Vorgehensweise, die ich eben beschrieben habe, hat ihre klaren Grenzen. Wir glauben, dass wir darüber hinaus an der Seite einer sogenannten sicherheitsförderlichen Unternehmenskultur arbeiten müssen. Ich kann es nur an meinem Beispiel erklären. Wir glauben, dass das Sicherheitsbewusstsein durch mehrere Faktoren beeinflusst wird, die sowohl technische als auch organisatorische Aspekte umfassen. Ich denke, das ist sehr gut nachvollziehbar, dass das Verhalten der Führungskräfte eine große Rolle spielt für das Verhalten der Mitarbeiter. Wenn sich Führungskräfte vorbildlich verhalten und sich in Zielkonflikten für die Sicherheit oder sichere Vorgehensweisen entscheiden, beeinflussen sie ihre Mitarbeiter sehr positiv. Durch Kommunikation in Richtung sicheres Verhalten haben wir sicherlich schon mal einen Pluspunkt. Aber es gibt noch andere Aspekte der Kultur, die eine große Rolle spielen. Hier kommen die Teams ins Spiel. Wir glauben, dass das Verhalten auch durch die Normen und Regeln beeinflusst wird, informelle Normen und Regeln, die in einem Team herrschen. Eine Strategie zur Entwicklung einer sicherheitsförderlichen Kultur besteht darin, auf die informellen Regeln in einem Team Einfluss zu nehmen.

 

Tobias Göpel: Die informellen Teams. Ich habe jetzt einen Produktionsbetrieb vor mir mit verschiedenen Schichten. Das sind für mich dann verschiedene Teams, die jeweils ihre eigenen informellen Regeln haben. Und jetzt brauche ich auf einer gewissen Metaebene Normen oder Vorgaben zu dieser Sicherheitskultur. Wie kann ich mir das vorstellen? Wie kann man darauf Einfluss nehmen?

 

Wolfgang Höfling: Also einerseits gibt es die offiziellen Regeln, Normen, Vorschriften usw., die sicherlich einen Einfluss auf die informellen Regeln und Normen in einem Team haben. Es gibt jedoch unter der Wasseroberfläche Regeln, die sich in einem Team eigenständig bilden und die Aussagen darüber machen, wie man etwas an einem Arbeitsplatz erledigt, wie man es tut, wie man es macht. An diese Normen oder diese Regeln kommt man nur über Kommunikation. Sie benötigen ausführliche Sicherheitsgespräche, um darauf einzugehen. Sie benötigen Führungskräfte, die sich wirklich mit den Teams über solche Dinge austauschen. Sie benötigen Teamgespräche, in denen solche Diskussionen stattfinden können. Was wir vorschlagen, ist, dass Teams wenigstens ein- oder zweimal jährlich eine Diskussion darüber starten, wie die gelebte Sicherheitskultur aussieht. Wie verhalten sich Führungskräfte? Wie verhalten wir uns im Team? Werden die Werte der Sicherheit von allen im Team geteilt? Wie sieht die Kommunikation im Team konkret aus? Sprechen wir uns im Team über kritisches Verhalten und kritische Situationen an? Sichern wir uns gegenseitig? Haben wir eine Kultur, in der diese Ansprache, diese Kommunikation als kollegial empfunden wird und nicht als belehrend? Das sind Fragen, die in den Teams diskutiert werden sollten, wenn wir versuchen, eine Sicherheitskultur zu entwickeln. Nur über diese Ansprache der informellen Regeln im Team lässt sich tatsächlich Verhalten und Bewusstsein beeinflussen.

 

Tobias Göpel: Nochmal eine konkrete Frage dazu: Ich habe die Schicht mit dem Schichtführer. Für mich ist das eine Führungskraft am anderen Ende. Ganz oben gibt es den Werkleiter, und dazwischen sind sicherlich noch ein oder zwei Ebenen, je nachdem, wie groß der Betrieb ist. Wenn ich zentrale Vorgaben für eine sicherheitsförderliche Unternehmenskultur habe, ist das für mich wie der sichtbare Teil des Eisbergs, an dem sich alle orientieren können. Spätestens beim Schichtteam wird es dann mehr der unsichtbare Teil unter der Wasseroberfläche. Wie kann ich als Führungskraft dort Einfluss nehmen? Denn die Führungskraft im Schichtbetrieb ist für mich ein Teil der Schicht und gegebenenfalls Teil des Problems. Wenn es eines gibt, muss die übergeordnete Führung schauen, wie sie da steuert. Hospitiert sie? Läuft sie mit? Oder wie bekommt sie Informationen darüber, dass es gegebenenfalls Änderungsbedarf gibt?

 

Wolfgang Höfling: Generell versuchen Führungskräfte, Einfluss zu nehmen. Sie versuchen, dies durch vorbildliches Verhalten zu erreichen. Dazu führen sie ausführliche Führungskräfteschulungen durch, um das Bewusstsein und Verhalten der Führungskräfte zu beeinflussen. Was wir empfehlen, ist, ein- oder zweimal im Jahr in einem Team eine Art Assessment durchzuführen, das eine Bewertung der Sicherheitskultur im Team ermöglicht. Das Team erstellt ein Bild der Sicherheitskultur, indem bestimmte Handlungsfelder befragt werden, sowohl von einem Führungskräfteteam als auch von einem Mitarbeiterteam. Die Ergebnisse der Befragung können verglichen werden, und dabei wird deutlich, dass sowohl die Führungskräfte als auch die Mitarbeitenden in ihrer Einschätzung übereinstimmen. Man kann jedoch auch Unterschiede in der Beurteilung der Kultur erkennen. Diese Unterschiede werden diskutiert, und es wird überlegt, wo die Kultur steht. Befinden wir uns eher reaktiv oder proaktiv? Wo sehen wir Handlungsbedarf? Wo müssen wir uns weiterentwickeln, um unser Bewusstsein und Verhalten zu verbessern?

 

Tobias Göpel: Wenn in meinem Betrieb alles rund läuft und es keine Arbeitsunfälle gibt, könnte ich ja sagen: "Was soll ich damit? Brauche ich nicht, läuft ja alles." Sehen Sie das genauso oder sehen Sie das anders?

 

Wolfgang Höfling: Also ich habe ja mitunter, oder ich arbeite hier für ein Unternehmen, in dem das genau zutrifft, was Sie gerade sagen. Schauen Sie sich die offizielle Unfallstatistik an, dann sind Sie weit von der Zahl entfernt, die Sie ganz eingangs genannt hatten, die, die von den Berufsgenossenschaften bundesweit festgestellt wird. Wenn man aber das Ganze sieht wie einen Eisberg oder ein Eisbergmodell, dann haben Sie zwar oben einen kleinen Peak, der aus dem Wasser herausschaut und der die möglichen Unfälle mit Ausfallzeiten anzeigt. Sie haben aber unter der Wasseroberfläche eine Menge an kritischen Situationen oder Unfällen, Dinge, die durch Glück noch mal gut gegangen sind. Von diesem Geschehen können Sie nur bedingt Informationen erhalten. Also das, was versucht wird, um in der Kultur weiterzukommen, auch wenn scheinbar der Betrieb unfallfrei ist oder das Unternehmen unfallfrei ist oder nur wenige Unfälle aufweist, ist, dass man versucht, die kritischen Situationen zu betrachten und aus ihnen zu lernen und das systematisch auch zu tun. Auch da haben wir wieder übrigens eine Kulturfrage. Denn dahinter steckt die Frage: Wie gehen wir mit Fehlern um? Wie sieht unsere Fehlerkultur aus? Wie offen können wir uns zu den Fehlern bekennen, die zu kritischen Situationen führen? Wie ist die Kultur? Wie ist das Klima gestaltet, so dass Mitarbeitende ohne Angst vor Sanktionen oder ohne Angst vor Bloßstellung offen über diese Dinge sprechen können?

 

Tobias Göpel: Das ist ein guter Punkt. Führungskraft bin ich im Zweifel auch haftbar für unschöne Entwicklungen im Betrieb. Also muss es ja mein Interesse sein, das, was unter der Oberfläche brodelt, irgendwie zu erfahren, zu bekommen. Sie haben das vorhin angesprochen, dass man dann Mitarbeitende befragt, Führungskräfte befragt, guckt, wo das Ergebnis oder der GAP ist und wie man dann letztendlich damit umgeht. Aber wie so Ihr grundsätzliches Vorgehen? Also ich möchte das wissen. Ich möchte ehrliche Antworten haben von Mitarbeitern, dass sie keine Angst haben, dass da Repressalien passieren, das andere, aber auch. Wer fragt, bekommt Antworten. Was mache ich dann damit? Wie geht denn der nächste Schritt weiter, wenn die Ergebnisse vorliegen? Ich merke jetzt Handlungsbedarf.

 

Wolfgang Höfling: Zunächst einmal: Das Vorgehen sieht so aus, dass wir mit den Führungskräften im Führungskräftekreis diese Kulturfragen erst mal grundlegend diskutieren, also aufwerfen und diskutieren und ein Führungscommitment bekommen, dafür diese Kultur zu öffnen. Wobei in der Regel Ihnen jede Führungskraft sagen wird: "Wir haben eine offene Fehlerkultur, und bei uns kann man alles sagen. Frei raus, da passiert schon nichts." In der Regel sehen das die Mitarbeiter anders. Also der erste Schritt ist, dass wir in der Regel mit Workshops arbeiten, wo wir im Führungskräftekreis diese Kulturthemen, eben auch die Fehlerkultur, thematisieren. Auf der anderen Seite arbeiten wir instrumentell. Wir haben Methoden entwickelt, mit denen sich kritische Ereignisse sehr einfach analysieren lassen. Wir raten in der Regel dazu, dass diese Ereignisse nicht nur von Fachleuten oder alleine von Fachleuten analysiert werden, sondern dass das eine Team-Aufgabe wird, dass in den Teams mithilfe von einfachen Methoden die kritischen Situationen auch besprochen werden, so dass die Teams direkt auch daraus lernen können und so, dass auch der Betrieb daraus lernen kann. Also am weitesten sind wir da, wo Teams anonym kritische Ereignisse analysieren können und diese Learnings dem Betrieb verfügbar machen.

 

Tobias Göpel: Kommunikation haben Sie jetzt schon mehrfach angesprochen. Auch im Vorfeld haben wir schon darüber unterhalten, und da fiel auch öfter mal der Begriff "Narrative."

 

Wolfgang Höfling: Narrative spielen eine sehr, sehr große Rolle. Narrative sind Erzählungen, die wir bewusst oder unbewusst teilen, die unserem Leben einen Sinn geben, unserem Tun, unserem Arbeiten einen Sinn geben oder werden sehr wirkmächtige Narrative, die in unser Feld reinspielen. Ich habe da einfach ein Beispiel: Wenn ich in Führungsebenen gehe, dann gibt es so eine Standardfrage, die so versteckt irgendwann auftaucht, und die Standardfrage lautet: "Warum ist es wichtig? Warum ist Sicherheit für eure Firma, für euer Unternehmen, für euch selbst? Warum ist es wichtig?" Und die Antworten spiegeln die Narrative. Eine typische Antwort ist: "Ja, das ist ein wichtiger Punkt. Denn unsere Firma, unser Unternehmen, kann Geld sparen bei der für Sie, bei den Beiträgen, die Sie zur Unfallversicherung entrichtet. Je weniger Unfälle, desto mehr Geld spart, oder?" Manchmal bekomme ich die Antwort: "Ja. Dem Unternehmen ist das eben wichtig. Also ich werde von dem Unternehmen bezahlt, also mache ich das, auch wenn ich diese nicht unbedingt einsehe." Oder mir ganz schlimme Erzählung ist, wenn mir erzählt wird: "Ja, unser Vorgesetzter, unser Betriebsleiter, den mache ich ziemlich gern. Und der kriegt einen Eindruck, wenn der mal einen Unfall melden muss. Das möchte ich nicht." Also dann schauen wir, dass wir hier sicher arbeiten, dass da nichts passiert. Das sind solche Narrative, und Narrative haben einen riesigen Einfluss auf unser Verhalten, weil sie unser Bewusstsein prägen. Und die Narrative, mit denen ich zu tun habe, die würden wir klassifizieren. Die gehören zu einer sogenannten reaktiven Kultur. Also ich mache etwas, ich verhalte mich sicher, oder ich halte die Sicherheitsvorschriften ein, oder ich debattiere keine Sicherheitseinrichtungen, ich trage meine PSA. Ich mache das, weil es von mir gefordert wird. Ich mache es reaktiv. Und wie ich eingangs gesagt habe, ich mache es aus einer extrinsischen Motivation. Und wir sind der Auffassung, Sie können ein Chemiewerk, das eben diese gefährlichen Anlagen betreibt oder nicht, auf Dauer sicher betreiben, mit Menschen, die sich in einem solchen reaktiven Bewusstsein befinden, die die Dinge aus extrinsischer Motivation heraus erledigen, die nicht verstanden haben, dass man eine chemische Anlage mit hohem Gefährdungspotenzial nur betreiben kann, wenn alle Mitarbeitenden, alle Beschäftigten in dieser Anlage Sicherheit als wirklich an allererster Stelle sehen und sich jeder auch als Sicherheit stiftende Person oder als Sicherheitspersonal empfindet und so agiert und so handelt. Da spielen die Narrative eine große Rolle.

 

Tobias Göpel: Was wäre denn aus Ihrer Sicht ein positives Narrativ, das sich lohnt, auch wirklich nach vorne hin zu hängen für das Unternehmen?

 

Wolfgang Höfling: Also das Narrativ, was wir uns wünschen würden, wäre ein Narrativ, wo die Mitarbeiter sagen: "Wir sehen uns selbst als professionelle, sichere Macher, die dazu beitragen, dass wir selbst sicher sind, dass unsere Kollegen sicher arbeiten können, dass unsere Nachbarn sicher sind. Und das hängt von unserem eigenen professionellen Tun ab. Sicherheit ist ein Teil unserer Profession." Das wäre das Narrativ, was wir uns wünschen.

 

Tobias Göpel: Jetzt habe ich das neue Narrativ, was ich mir wünsche. Aber Sie haben jetzt auch Narrative in der Vergangenheit schon gesagt. Eher nicht so schöne, die sich wahrscheinlich in der Regel festgesetzt haben. Wir machen das, weil es kostet uns Geld, oder? Dieses paternalistische, was Sie angesprochen haben, wie kann ich jetzt bestehende Narrative aufbrechen, die dem Ziel dieser neuen Unternehmenskultur entgegenstehen?

 

Wolfgang Höfling: Schwierige Frage. Ich versuche, sie zu beantworten. Ja, was wir? Ich kann Ihnen sagen, was wir sehr praktisch tun. Also Narrative lassen sich im Sturmangriff nicht verändern. Im Gegenteil. Narrative sind Sinngebungen. Und deswegen geben sie mir innerlich eine Sicherheit. Ich kann nicht einfach aus der Erzählung aussteigen, die mir Sicherheit gibt. Insofern verteidige ich sie. Und der Sturmangriff führt dazu, dass ich mich in einer Abwehrhaltung, in eine Abwehrposition begebe. Also was wir versuchen ist, dass wir über Sicherheitskultur aufklären, dass wir mit den Leuten unterschiedliche Stufen der Sicherheitskultur diskutieren. Und wenn wir auf dieser Leiter, so nennen wir das, der Leiter der Kultur, agieren, dann kann man sehr schön deutlich machen: Wie tun wir die Dinge, die notwendig sind, um Sicherheit zu gewährleisten? Wie tun wir sie in einer reaktiven Kultur, beispielsweise? Wie sieht eine Unterweisung aus in einer reaktiven Kultur? Oder wie erledigen wir eine Gefährdungsbeurteilung? Und das machen wir in der reaktiven Kultur nur, wenn wir dazu gezwungen werden, wenn es Audits gibt. Wie sieht es in der proaktiven Kultur aus? Dann machen wir das aus eigener Motivation. Wir sind intrinsisch motiviert, wir sehen ein, dass wir uns damit schützen. Das ist ein notwendiger Teil unserer Arbeit. Also da gibt es unterschiedliche Qualitäten. Und genauso gut können Sie fragen: Wie erzählen wir denn? Oder: Wie sprechen wir über Sicherheit? Sehr viel einfacher. Wie sprechen wir über Sicherheit in einer gleichgültigen Kultur, in einer reaktiven Kultur, in einer proaktiven Kultur oder auch in einer sogenannten wertschöpfenden Kultur? Das hilft dabei zu erkennen: Wie sind denn die Erzählungen, in denen ich mich bewege, die mein Bewusstsein beeinflussen, als Mitarbeiter? Und möchte ich eigentlich die Dinge so erzählen, wie ich auf dieser Stufe, auf einer reaktiven Stufe beispielsweise, bewege? Viele werden Ihnen sagen: "Nein, nein, wir wollen präventiv handeln, wir wollen proaktiv sein." Und dann ist die Frage: Wie sieht denn die Erzählung aus? Wie sollen wir uns die Dinge erzählen? Wie wollen wir über Sicherheit sprechen in der Kultur, die wir anstreben? In dieser proaktiven Kultur.

 

Tobias Göpel: Kann das eine Führungskraft leisten oder bräuchte ich da im Zweifelsfall eine externe Person wie Sie oder vielleicht sogar eine extra geschaffene Stelle im Betrieb, die genau solche Sachen übernimmt?

 

Wolfgang Höfling: Genau. Also das ist eine Vorgehensweise, die auch im Coaching angewendet wird. Wir sind auf die Führungskräfte angewiesen, das muss ich deutlich sagen. Also wir brauchen die Führungskräfte, die diese Diskurse, die diese Kommunikation auch betreiben. Ich möchte jetzt vielleicht etwas weiter ausholen, aber ich muss mal einen kleinen Schlenker machen. Also in jeder guten Führungsausbildung und in jedem guten Führungsseminar lernen Sie, dass Führung mehr als nur Management bedeutet. Es geht nicht nur um organisieren, planen, koordinieren und Dinge auf den Weg bringen sowie Prozesse klären. Es hat auch etwas mit Coaching zu tun. Als Führungskraft muss man für Kommunikation sorgen, informieren, Mitarbeiter einbinden und Aufgaben, Verantwortungen sowie Mitarbeiter delegieren. Sie lernen also eine bestimmte Form der Kommunikation, die Sie befähigt, Gespräche zu führen, auch indirekte Gespräche. Auf jeden Fall, wenn Sie an einem Führungsseminar bei mir teilnehmen würden, dann würden Sie das lernen. Und bei der Kulturentwicklung ist das ein Teil der Führungskräfte-Ausbildung. Möchte aber noch mal ganz kurz auf das Narrativ zurückkommen. An sich ist das Schöne an dem Narrativ, dass es erreichbar ist durch ein Umdenken an meiner Stelle. Oder wenn Sie meine Erfahrung teilen, dann wird Ihnen oft gesagt: "Das ist alles wunderbar und schön. Aber jetzt haben wir die x-te Aktion, den nächsten Aktionsplan und die nächste aufwändige Maßnahme, für die wir überhaupt keine Ressourcen haben." Um deutlich zu machen, wie unser Narrativ aussieht, die Erzählung, in der wir uns bewegen, und welchen Einfluss sie auf unser Bewusstsein und Verhalten hat, ist ein Erkenntnisprozess. Den können wir in einem Gespräch erreichen, in dem wir darüber sprechen, wie man eine vernünftige Erzählung entwickelt, die uns voranbringt, die uns hilft, innerlich motiviert zu sein. Die uns stolz macht, weil wir Profis im Umgang mit Risiken sind. Wenn uns das bewusst wird, wie sähe denn eine solche Erzählung aus? Der Aufwand besteht in einem Umdenken. In einem Gespräch geht es darum, die Dinge einfach anders zu denken, neu zu denken. Das funktioniert in der Regel und kostet wenig Ressourcen.

 

Tobias Göpel: Was mich dann zu dem Ende des Prozesses bringt: Ich erkenne den Bedarf, habe die Mitarbeitenden mitgenommen, die Gespräche geführt. Aber KPIs als Erfolgsmeldung, das ist ja aus der Wirtschaft nicht wegzudenken. Kann man das messen? Wie kann man messen, dass ich Erfolg hatte bei einer solchen sicherheitsfördernden Unternehmenskultur?

 

Wolfgang Höfling: Also Sie können sicherlich nicht direkt eine Korrelation herstellen zu den Statistiken, den Zahlen, den sogenannten Inzidenzen, den kritischen Situationen usw. Sie könnten eventuell eine zeitliche Korrelation aufweisen. Aber was wir machen ist das – ich hatte Ihnen ja berichtet, dass wir eine Methode verwenden, wie wir Sicherheitsvorrichtungen mitnehmen. Das beinhaltet eine Selbsteinschätzung der Sicherheitskultur, bei der Führungskräfte, Teams und Mitarbeiter die Kultur anhand von 36 unterschiedlichen Aspekten bewerten. Sie können das natürlich vergleichen, periodisch vergleichen. Wie wird die Kultur Anfang 2023, im Sommer 2023, im Dezember 2023 oder im Frühjahr 2024 bewertet? Welche Veränderungen gibt es in der Bewertung der Kultur? Darüber führen wir Buch. Wir haben eine Statistik. Wir können die Zahlen vergleichen. Sie können also eine Veränderung der Kultur durchaus bewertbar oder messbar machen. Dafür haben wir Parameter. Aber ich würde lügen, wenn ich Ihnen sagen würde, wir könnten direkte Rückschlüsse ziehen oder eine direkte Korrelation zu den Unfallzahlen herstellen. Im günstigsten Fall, und das beobachten wir, gibt es starke Beeinflussungen. Aber das sind Schätzwerte. Ich kann Ihnen das nicht statistisch nachweisen.

 

Tobias Göpel: Vielen Dank für Ihre Zeit und das Gespräch. Ich hoffe, dass wir jetzt auch da draußen ein paar Führungskräfte erreicht haben, die jetzt Interesse daran haben und sich mehr mit dem Thema beschäftigen werden.

 

Wolfgang Höfling: Vielen lieben Dank, Herr Göbel. Vielen Dank für die Chance, hier sprechen zu dürfen. Das habe ich sehr gerne gemacht. Vielen Dank!

 

Tobias Göpel: Liebe Zuhörende, das war eine weitere Folge von "Wir hier". Zu Gast war Dr. Wolfgang Höfling, Berater und Coach für eine sicherheitsfördernde Unternehmenskultur. Wir haben über Narrative für mehr Sicherheit am Arbeitsplatz gesprochen. Wenn Sie Fragen, Hinweise oder sogar Lob haben, dann mailen Sie mir an Podcast@wir.hier.de. Vielen Dank und bis bald! Ihr Tobias Göbel.

  • Like
  • PDF

Das könnte Sie auch interessieren

Sandra Parthie leitet das Brüsseler Büro des Instituts der deutschen Wirtschaft. Foto: EESC (Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss)

Klimaneutral werden, sich auf dem Weltmarkt behaupten: Der Green Deal und der neue Clean Industrial Deal sollen die EU zu grünem Wohlstand führen. Sandra Parthie, Leiterin des Brüsseler Büros des Instituts der deutschen Wirtschaft, erläutert, wie.

Newsletter