Der Krieg in der Ukraine hat zu einem radikalen Umdenken geführt: Deutschland will unabhängiger von ausländischen Lieferanten werden und muss daher künftig mehr Energie im eigenen Land erzeugen. Dasselbe gilt für den Abbau von Rohstoffen.
Wie das funktionieren kann und inwieweit das auch von den Zugeständnissen der Bevölkerung abhängt, erklärt Dr. Hubertus Bardt, Geschäftsführer und Leiter Wissenschaft beim Institut der deutschen Wirtschaft in Köln, im Gespräch mit Tobias Göpel.
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Tobias Göpel: In der Ukraine herrscht Krieg und in Deutschland der Wille, unabhängiger zu werden von Rohstoffimporten. Doch wie realistisch ist das? Welche Rohstoffe können in Deutschland abgebaut werden und wie kann uns die Kreislaufwirtschaft helfen? Dazu spreche ich heute mit einem Experten des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln. Hallo Herr Bardt.
Hubertus Bardt: Guten Tag Herr Göpel!
Göpel: Herr Bardt, wie realistisch ist eine Unabhängigkeit Deutschlands bei den Energierohstoffen?
Bardt: Wir haben bisher relativ viel Energierohstoffe aus Russland bezogen. Über die Hälfte des Gases, große Menge bei Kohle und bei Öl. Und je nachdem, wie der Rohstoff ist, wie die Marktlage ist, wie die Transportwege sind, ist es einfacher oder schwieriger, das zu ersetzen und sich damit unabhängig von Russland zu machen. Bei Kohle ist es relativ einfach. Da gibt es gute andere internationale Quellen. Die Importeure sind guter Dinge, das ausgleichen zu können und deshalb gibt’s auch das angekündigte Kohleembargo ab diesem Jahr. Bei Öl ist es schon schwieriger. Hierbei die große Frage, wie wir die ostdeutschen Raffinerien, die noch an der alten Leitungsinfrastruktur aus den Zeiten des Kalten Krieges im Prinzip hängen und direkt aus Russland versorgt werden, wie da also eine alternative Versorgung sichergestellt werden kann. Hier ist man ein gutes Schritt weitergekommen und deshalb jetzt auch, von deutscher Seite mitunterstützt, die Forderung nach einem Embargo. Die EU insgesamt, vor allem Ungarn, sind da noch nicht so weit. Und bei Gas ist es noch mal schwieriger, Öl, Gas muss auf die Schnelle, in großen Volumina verschifft nach Deutschland oder auch nach Nordeuropa transportieren können. Da geht es also darum, weniger zu verbrauchen, zusätzliche Quellen zu erschließen. Aber es dauert länger, hier auf russisches Gas verzichten zu können als bei den anderen Energierohstoffen.
Göpel: Die Bundesregierung, also speziell Herr Habeck, sagt ja einerseits: Wir schaffen das. Die Unabhängigkeit von Öl schneller, von Gas dann mit längerem Vorlauf. Der Herr Lindner, auch Angehöriger der Bundesregierung, sagt dann: Erneuerbare Energien sind Freiheitsenergien. Meine Frage ist, wie viel Freiheit können wir mit Wind und Sonne tatsächlich erreichen?
Bardt: Es ist eine schöne Begriffsschöpfung. Die erneuerbaren Energien hatten ja lange die Schwierigkeit, dass sie sehr teuer waren und deshalb nur mit hohen Kosten, hohen Subventionen, überhaupt in den Markt zu bringen waren. Das hat sich teilweise geändert. Sie sind aber immer noch schwankend. Das heißt, wir können nicht so gut steuern, wie viel Wind und Sonne produziert wird. Oder Strom aus Wind und Sonne produziert wird, wie das bei Gas insbesondere der Fall ist. Und darum müssen wir uns überlegen, wie wir eigentlich diese Lücken, wenn kein Wind weht, keine Sonne scheint, aber der Verbrauch da ist, wie wir die überbrückt kriegen. Klar ist aber auch, je mehr wir einsparen, bzw. je mehr Strom, vor allem aber auch Wärme wir durch erneuerbare Energien erzeugen können, desto weniger Gas brauchen wir aus Russland. Insofern stimmt der Begriff der Freiheitsenergie in dem Sinne, wir machen uns frei von russischen Einfuhren nach Deutschland. Aber die Frage ist, wie schnell kriegen wir das denn tatsächlich hin? Und die Bundesregierung, die Ampelkoalition hatte sich ja sowieso schon vorgenommen, die Geschwindigkeit beim Ausbau der Erneuerbaren so weit wie möglich zu erhöhen und das Gaspedal also voll durchzutreten, wenn man so will. Und dann noch schneller zu werden, noch stärker zu beschleunigen, ist nicht so ganz einfach, wenn man sowieso schon alle Kapazitäten oder alle Chancen so schnell wie möglich nutzen will.
Göpel: Die chemische Industrie ist ja eine energieintensive Branche. Nun gibt es da verschiedene Aspekte. Einerseits kann sich nicht jedes Unternehmen leisten, Offshore-Windanlagen zu kaufen oder sich daran zu beteiligen. Auf der anderen Seite ist es ja auch so, dass die Elektromobilität dafür sorgt, dass der Energiebedarf in der Summe noch mal zusätzlich steigt. Also was können Biogasanlagen vielleicht sogar ausrichten? Was ist an Atomenergie denkbar? Auch das wird derzeit diskutiert. Oder wird es so sein, dass es immer noch einen Rest von fossilen Brennstoffen geben wird, den wir nutzen müssen, weil halt Wind und Sonne letztendlich nicht ausreichen?
Bardt: Der Strombedarf wird vermutlich steigen. Je mehr energieeffizient wir werden, je mehr wir dekarbonisieren, desto mehr wird erneuerbarer Strom benötigt, um das tun zu können. Und es zeigt mit Blick auf die Industrie, dass das alte Ziel-Dreieck nach wie vor gilt. Sicherer, umweltfreundlicher und bezahlbarer Strom oder Energie, also vor allem bezahlbarer, grüner Strom, günstiger grüner Strom, das wird ein wichtiger Standortvorteil für die Zukunft sein. Das ist das, wo die Bundesregierung, aber auch Energiewirtschaft und Industrie dann dran arbeiten müssen. Eine der Fragen ist, wie kriegen wir dieses Puzzle zusammen? Diese Schwankungen von Sonne und Wind ausgeglichen. Und da gibt es verschiedene Ansätze, die auch wieder zusammenspielen müssen. Wir können teilweise Produktionen ein Stück weit runterfahren, wir können Nachfrage im Tagesverlauf mit steuern. Also wenn es viele Elektroautos gibt, die am Netz sind und wir ein intelligentes Netz haben oder hätten, dann könnte man die schrittweise aufladen, dass das nicht alles gleichzeitig mit benötigt wird und damit den Verbrauch glätten. Wir können in Zukunft sicherlich auch teilweise über Wasserstoff, der zwischendurch produziert wird, Strom erzeugen in Zeiten, wo weniger Erneuerbare zur Verfügung stehen, und den sozusagen als Speicher mit verwenden. Also viele Einzelteile, die eines Tages dazu führen sollen, dass die fossilen Energieträger als Puffer, als Ausgleichsenergie nicht mehr benötigt werden.
Göpel: Noch mal ein Blick auf die Biogasanlagen. Spielen die eine relevante Rolle oder einfach nur ein kleines Puzzleteilchen?
Bardt: Biogas ist schon wichtig. Es ist eine erneuerbare Energiequelle, Stromquelle, die gut gesteuert werden kann, die also nicht davon abhängig ist, ob jetzt gerade Tag und Nacht ist, ob Wind weht oder nicht, sondern die kann dann angeworfen werden, wenn sie benötigt wird. Der Nachteil von Biogas oder Biomasse generell ist natürlich, dass man die Biomasse auch produzieren muss und wir schnell zu der Frage kommen, welche Umweltfolgen hat das? Gibt das Konflikte zur Nahrungsmittelerzeugung beispielsweise, ist das umweltschutzseitig vertretbar oder nicht? Also hier entstehen dann auch neue Konflikte, die auch gelöst werden müssen. Man sieht, jede Energieerzeugung hat irgendwelche Nachteile, hat irgendwelche Schwierigkeiten und deshalb gibt es auch nicht das eine Große, mit dem wir alles glauben, regeln zu können oder irgendwann lösen zu können, sondern immer eine Abwägung. Und ja, am Ende muss das Gesamtkonzept stimmen.
Göpel: Weg von Energie, hin zu den Rohstoffen. Denn für die chemische Industrie sind ja Öl und Gas nicht nur wichtig für die Energieversorgung, sondern sind auch die wichtigsten Rohstoffe für viele Produkte. Die Unsicherheit, besonders bei der Gasversorgung, ist ja sehr groß. Worauf muss sich da aus Ihrer Sicht die Branche einstellen?
Bardt: Langfristig muss sich die Branche darauf einstellen, dass sie ihre Energieversorgung umstellt und das, was wir an stofflicher Basis haben, dann über Fossile auch weiterhin organisiert werden kann. Teilweise vielleicht auch über biogene Grundstoffe. Aber der Einspar-Effekt, die große Dekarbonisierungsfrage, liegt ja nicht in der stofflichen Nutzung, sondern in der energetischen. Es gibt Konzepte, die besagen, dass wir große Mengen von Strom aus erneuerbaren Quellen brauchen, um die Chemie auch in dem Sinne dekarbonisieren zu können. Die kurzfristige Frage des kurzfristigen Risikos eines Gasembargos oder Boykotts, also ein letztliches Zusammenbrechen oder Ausfalls des Gasimports aus Russland, hat natürlich aber dann auch Auswirkungen auf die Frage der stofflichen Verfügbarkeit. In einer solchen Situation würden die Preise deutlich weiter ansteigen, damit vielleicht auch ein bisschen weiteres Reduktionpotenzial in den Haushalten realisieren, also dass man die Heizung nicht ganz so warm hat im Winter, sondern ein bisschen kühler, um Gas zu sparen, weil zu teuer ist. Mit all den sozialen Folgen und Konsequenzen, die das dann hat. Aber für die Industrie würde das bedeuten, dass am Ende die Regulierungsbehörde entscheiden muss, wer kriegt denn was und wer kriegt nichts? Und das würde dann die Frage energetische und stoffliche gleichermaßen betreffen.
Göpel: Ich bleibe dann bei dem Gas als Rohstoff. Verfügbarkeit ist das eine. Im Extremfall, wenn es nichts mehr gibt, bleiben wahrscheinlich die Bänder stehen. Aber es geht auch um den Preis. Also wenn man etwas bekommt, Stichwort Katar, gibt es ja Gespräche, da etwas zu bekommen. Es sollen ja die Flüssigtank-Anlagen aufgebaut werden. Das hat ja auch Auswirkungen auf den Preis. Und derzeit ist ja auch der Preis für Gas in Europa mit Abstand der höchste, wenn man das vergleicht mit dem amerikanischen Markt oder japanischen Markt. Und wir haben es schon erlebt, dass sich ab einem gewissen Preis die Produktion und die Weiterverarbeitung in Deutschland gar nicht mehr lohnt. Also die Ammoniakproduktion in Ludwigshafen hat es ja zum Beispiel schon erfahren. Wenn also der Gaspreis weiter steigt, es wäre verfügbar, das Gas, aber der Preis steigt, dass sich einfach eine Verarbeitung in Deutschland nicht mehr lohnt. Sehen Sie da eine Gefahr für den Standort?
Bardt: Auch da müssen wir zwischen kurz- und langfristig unterscheiden. Kurzfristig haben wir im Augenblick mit Abstand die höchsten Preise in den drei großen Regionen, also deutlich höher als die USA, massiv höher als Japan. Das ist dem aktuellen Konflikt geschuldet und der Sorge vor allem vor tatsächlichen Engpässen. Würde es zu einem Embargo oder Boykott kommen, dann wäre auch hier noch mit höheren Preisen tatsächlich zu rechnen. Langfristig ist das Preisniveau nicht realistisch, aber werden wir uns wahrscheinlich daran gewöhnen müssen, dass es teurer wird als bisher? Ja, aber wir haben bisher immer davon profitiert, dass wir günstiges russisches Gas hatten, die Pipelines gebaut wurden. Da ist einmal rein investiert worden und dann war der Transport sehr viel günstiger, als etwas zu verflüssigen, über die Weltmeere zu verschiffen und wieder zu gasifizieren und dann zu verteilen. Also LNGa als Alternative. Japan hat auf LNG gesetzt, hatden LNG-Markt entwickelt, hatte immer in den letzten Jahren höhere Preise als Westeuropa. Wenn wir jetzt von Russland unabhängig werden wollen, heißt es, wir müssen stärker auf LNG setzen, dann heißt das auch, wir müssen höhere Preise dafür zahlen. Und die werden auch höher sein als die Energiepreise in der Vergangenheit, weil ja einfach eine massive zusätzliche Nachfrage dann auf den Markt drängt. Das Angebot lässt sich nicht so schnell ausweiten und vor allem nur dann, wenn man auch bereit ist, auf lange Sicht höhere Preise zu zahlen. Also es wird auf jeden Fall dann teurer werden für die Gasverbraucher, Privaten und Industriellen, und das stellt dann perspektivisch auch Standortentscheidungen, Produktionsentscheidungen unter ein neues Licht, aber sicherlich nicht in der Dimension wie im Augenblick. Die Gaspreise, die wir jetzt haben, werden nicht diejenigen sein, mit denen wir dauerhaft zu rechnen haben.
Göpel: Neben Gas und Öl wird auch die Versorgung mit wichtigen Metallen und Mineralien für viele Unternehmen schwieriger. Welche nennenswerten Vorkommen hat Deutschland hier zu bieten?
Bardt: Das Problem mit Blick auf Russland sind beispielsweise Nickel, was zwar auf dem Weltmarkt verfügbar ist, aber in dieser Qualitätsstufe nur sehr schlecht verfügbar ist, andere Rohstoffe, Palladium beispielsweise oder auch Neon als Nebenprodukt der Stahlindustrie der Ukraine. Teilweise ist das auch anderswo auf der Welt verfügbar, nicht so schnell, nicht in den Mengen, die gebraucht werden, nicht in den Qualitäten, die gebraucht werden. Teilweise sind Rohstoffe auch in Deutschland verfügbar. Wir haben ja im Augenblick überhaupt keine Metallproduktion im Land. Das war mal anders. Die Vorkommen sind in anderen Ländern günstiger zu realisieren, bzw. die Bergwerke sind halt da und das ist dann immer günstiger als ein neues aufzumachen. Vor allem sind die nächsten Prozessschritte der Konzentration dieser Erze, der Aufbereitung oftmals sehr schwierig, mit erheblichen Umweltauswirkungen verbunden und deshalb in Ländern wie Deutschland schwieriger durchzuführen als vielleicht anderswo. Aber machbar ist das. Wir haben gutes Wissen darüber, welche Rohstoffe in Deutschland vorhanden sind, vor allem die ehemalige DDR ist hervorragend ausgeleuchtet. Da hat man viel nach Rohstoffen gesucht, viel Exploration betrieben und weil man einfach wenig hatte und sich nicht auf dem Weltmarkt so gut versorgen konnte. Es gibt immer wieder Ansätze, in Deutschland Bergwerke oder Bergbau neu mitzubetreiben. Das war auch schon vor 13, 14 Jahren der Fall, als wir das letzte Mal so ein Halb- oder Preisspitzen bei Rohstoffen bekamen und uns Sorgen machten, kriegen wir denn die Sachen noch aus China oder nicht? Da ist dann relativ wenig draus geworden. Was wir natürlich brauchen, ist auch hier eine Zahlungsbereitschaft, die höher ist als das, was im Augenblick so auf den Märkten erzielbar ist, also eine Art Versicherungsprämie. Man kann sicher von hier kriegen oder mit einer gewissen Unsicherheit von anderswo in der Welt. Das wird die Frage sein, ob jemand bereit ist, das zu zahlen.
Göpel: Es ist also nur eine Frage des Rohstoffpreises, ab wann es sich lohnt, auch in Deutschland wieder Rohstoffe abzubauen.
Bardt: Ja, man kann nicht alles abbauen, man kann nur das abbauen, was auch da ist. Aber es gibt verschiedene Initiativen, bestimmte Rohstoffe hier abzubauen, bis hin zu Lithium. Also wo man jetzt gar nicht zuerst daran denkt, dass es das hier auch gibt. Das geht, das ist aufwendiger. Und wir hatten die Situation ja auch lange mit der Steinkohle, die in Deutschland abgebaut wurde, obwohl sie über Jahrzehnte nicht weltmarktfähig war. Also über Jahrzehnte hinweg sind Subventionen gezahlt wurden, damit es dann im Inland abgebaut wurde, obwohl es hier gute andere und eine Vielfalt von anderen Lieferländern auch mit gab. Wir haben bei einzelnen Rohstoffen eine Situation, die sehr viel konzentrierter ist, auf China beispielsweise oder auf andere einzelne Länder, wo man dann die Frage stellen muss, ist diese Sicherheit das wert, den Aufwand hier zu betreiben? Oder sprechen wir über Risiken, die wir anderweitig beherrschbar sind, wenn sie denn Realität werden?
Göpel: Lithium ist ein gutes Stichwort. Das soll ja ab 2025 im Erzgebirge abgebaut werden. Die Technologien haben wir. Müsste sich was an den gesetzlichen Regulierungen ändern, um es vielleicht attraktiver zu machen, Rohstoffe in Deutschland abzubauen?
Bardt: Wir haben ja auch bei dem Rohstoffabbau, den wir haben, ziemliche Schwierigkeiten. Rohstoffabbau in Deutschland ist ganz wenig Öl, wenig Gas. Bei Gas kam irgendwann die Fracking-Diskussion und dann damit das Verbot von Instrumenten oder von Fördertechniken, die lange etabliert waren, und womit der heimischen Anzahl an der Förderung noch weiter runter gegangen ist. Wir haben aber auch ansonsten Abbau von Kalk, von Steinen und Erden und dergleichen mehr. Wir sehen, dass, wann immer es ein Bergwerk, eine Kiesgrube erweitert werden muss, weiter wandern muss, sozusagen, weil die Stelle, wo sie jetzt ist, dann abgebaut ist, wir erhebliche Probleme haben, das tun zu können. Weil wir Bebauung haben, weil wir Naturschutzgebiete haben, weil wir Proteste der Anwohner haben oder dergleichen mehr. Und all das wäre natürlich mindestens genauso, wenn wir jetzt nicht eine etablierte Kiesgrube weiterentwickeln, sondern man tatsächlich neu irgendwo anfängt. Selbst wenn man es unter modernsten Nachhaltigkeitsgesichtspunkten macht, ist das kein einfaches Unterfangen. Und Sie brauchen auf jeden Fall politische Rückendeckung und entsprechende Unterstützung bei der Genehmigung und auch bei der Realisierung solcher Projekte.
Göpel: Also das Beispiel Tesla hat ja gezeigt, dass Sachen auch schnell gehen können. Abbau ist natürlich eine ganz andere Hausnummer, wenn es darum geht, dass Ortschaften ggf. auch nicht mehr existieren. Stichwort Tagebau: Erwarten Sie, dass durch den Krieg die Bereitschaft in Deutschland steigt, mehr zu tun in Sachen eigener Förderung und zum Beispiel auch mehr Umweltfolgen in Kauf zu nehmen als bisher?
Bardt: Wir reden, glaube ich, nicht von großen Tagebauten, wo Dörfer abgebaggert werden. Das ist die Braunkohle, das ist auch jetzt quasi ausdiskutiert. Und da sind die Grenzen der Anbaugebiete dann absehbar. Wenn wir über Bergbau im Erzgebirge beispielsweise reden, dann ist das Untertage oder ist zu mindestens relativ kleinräumige Zugänge, die dann notwendig sind. Also da wird man mit Sicherheit nicht Dörfer abbaggern müssen oder dergleichen mehr. Aber klar ist, Bergbau ist etwas, was mit Eingriffen in die Natur zu tun hat. Das kann man gut machen, das kann man schlecht machen, das kann man umweltfreundlich machen oder zumindest mit wenigen Umwelteingriffen machen. Das kann man auch sehr umweltschädlich machen. Klar ist, es müsste in Deutschland unter höchsten Umwelt- und Sozialstandards auch stattfinden im internationalen Vergleich. Aber trotzdem, es bleibt immer ein Eingriff. Und das ist dann auch die Frage von Akzeptanz. Ja, ich kann mir vorstellen, dass die im Augenblick größer ist vor dem Hintergrund der Bilder, die wir sehen, und der möglichen Bedrohung, die wir haben. Aber die Verbindung ist doch dann sehr indirekt, dass man vor Ort dann sagt, ja, wir können brauchen Lithium aus dem Erzgebirge und nicht aus Australien. Das ist dann, glaube ich, nochmal schwieriger vor Ort zu erklären, als wenn es jetzt darum geht, vielleicht mehr Gas in Deutschland zu produzieren oder zu fördern und weniger dafür aus Russland zu importieren. Also die direkte Verbindung ist dann glaube ich weniger da und ich glaube, das ist kein Selbstläufer. Am Ende geht es dann auch um die Frage, welche Preise sind langfristig zu erzielen? Und das ist wahrscheinlich die wichtigere.
Göpel: Der letzte Teil meiner Fragen konzentriert sich nicht darauf, neue Rohstoffe zu bekommen, weil Rohstoffvorkommen sind ja per se endlich. Ein weiteres Puzzleteil ist es ja auch, bestehende Rohstoffe, die verarbeitet wurden, wieder zurückzugewinnen. Stichwort Kreislaufwirtschaft. Wenn es also eine perfekte Kreislaufwirtschaft gäbe, könnte man ja mit minimalen Importen in Deutschland auskommen. Was ist da aus Ihrer Sicht heute technisch und finanziell schon machbar?
Bardt: Urban Mining ist ein wichtiges Stichwort, also die Stadt als Mine sozusagen. Wir haben das ja angefangen vor langer Zeit. Altpapier wird seit langem wiederverwertet, Glas, verschiedene Basismetalle, Stahl, Eisen, Aluminium und Kupfer. Da haben wir hohe Recyclingquoten. Also das, was anfällt, wird dann auch so gut es geht recycelt, da, wo es möglichst einfach ist und gut gesammelt werden kann und relativ günstig dann auch recycelt werden kann. Es ist bei Kunststoffen wird es schon schwieriger, die häufig durchmischt sind, die häufig verdreckt sind, die nicht so gut wieder aufbereitet werden können. Aber natürlich hat das ein wichtiges Potenzial. Das ist oftmals eine technische, eine Frage der technischen Entwicklung. Was ist möglich, zu welchen Kosten, dann auch mit... Weil natürlich der Aufwand dann ins Verhältnis gesetzt werden muss zu dem Ertrag, der tatsächlich da ist, zu den gewonnenen Rohstoffen. Aber gerade da, wo wir über neue Stoffströme sprechen und über große zusätzliche Mengen, da sind wir wieder bei Lithium, ist es ausgesprochen wichtig, möglichst früh sich darüber Gedanken zu machen: Wie können wir denn die Kette schließen und dann auch die Recyclingmöglichkeiten nutzen? Also beispielsweise Lithium, Autoproduktion, Autobatterien für Elektrofahrzeuge, wenn die an ihr Lebensende kommen im Auto, dann können sie noch mal genutzt werden als Second Life in Gebäuden beispielsweise. Aber irgendwann sind die dann auch durch und können nicht mehr genutzt werden. Dann ist es wichtig, dass wir spätestens, wenn das anfängt, da die relevanten Mengen kommen, dass wir dann soweit sind, die Dinge nicht einfach wegzuwerfen oder zu verbrennen oder nur den Mantel zu gewinnen, sondern auch tatsächlich die Rohstoffe, die da drin sind, wieder zurückzugewinnen und in den Kreislauf zurückführen zu können. Das hilft uns am Anfang nicht. Es hilft nicht in der Phase, in der immer mehr gebraucht wird. Also wenn wir jetzt in die Elektromobilität mit hineinkommen, dann werden natürlich erst mal viel mehr Batterien benötigt, als Batterien zurückkommen. Aber irgendwann muss man so weit sein, dass man das mit schließen kann, um die Vorkommen dann zu schonen und um auch letztlich die Preise nicht explodieren zu lassen. Und das ist, wenn wir zusätzliches Produkt anbieten können, die Rohstoff aus der städtischen Mine, aus dem Recycling mit anbieten können, dann ist das auch preisdämpfend und wirtschaftlich sinnvoll, wenn sich das rechnet.
Göpel: Wer es aus Ihrer Sicht dann jetzt ratsam, dass auch die Politik Geld in die Hand nimmt oder zumindest eine Erleichterung bei Forschung ermöglicht, um Produkte, die vielleicht jetzt noch gar nicht auf dem Markt sind, zum Beispiel Batterien, die noch in Entwicklung sind, aber dann auch gleich mitzudenken, wie diese wiederverwertet werden können? Dass es also mehr Anreize gibt, diesen Kreislauf auch schon von vornherein mitzudenken.
Bardt: Das ist ein ganz wichtiger Bestandteil. Und ich glaube, da gibt es auch bei allen Konzeptionen der Entwicklung wird das inzwischen mitgedacht. Da sind wir heute auch weiter als vor 20 Jahren. Die Frage, was passiert am Ende des Lebenszyklus, gerade wenn es um solche riesigen Mengen geht, die dann, wo viel Forschung noch mit drin ist, viel Grundlagenforschung auch mit drin ist und wo die ganzen Systeme erst aufgebaut werden. Da kann man das dann auch einfacher denken als bei etablierten Verfahren. Und wir reden ja auch über Mengen. Also in so einem Elektroauto sind einfach Mengen von Batterierohstoffen drin, die dann auch konzentriert da sind und gut weiterverarbeitet werden können. Das ist viel, viel einfacher als bei so einem Handy beispielsweise, über das man immer mal wieder spricht, wo halt winzigste Mengen von ganz vielen Rohstoffen mit drin sind und es sich kaum lohnt, die jetzt wieder herauszulösen. Das ist beim Auto, also bei Batterien für Elektroautos, wertvolle Rohstoffe in großen Mengen zusammen, halt ganz anders, die dann auch an einer Stelle irgendwo mit anlanden. Aber das muss beim Design mitberücksichtigt werden. Man muss und das ist ja auch Vorgabe inzwischen, ja auch Autos so konstruieren, dass sie hinterher vernünftig zurückgebaut und so gut es geht recycelt werden können.
Göpel: Ja, Smartphones sind da durchaus ein guter Punkt. Auch das höre ich öfter, dass nur ganz wenig davon wieder genutzt werden kann. Aber vielleicht gibt es auch da ja bald Product Designs, die das Ganze verbessern.
Hubertus Bardt: Das sind große, große Prozesse. Das ist dann fast schon auch wieder chemische Industrie, wo man versucht, einen Stoff nach dem anderen durch einen zusätzlichen Prozessschritt mit herauszulösen. Das geht dann nur großtechnisch. Das ist was völlig anderes als das Einschmelzen von Aluminium zu neuem Aluminium. Sondern das ist auch hier, großtechnische Anlagen, viel Chemie, sehr viel komplexer und aufwendiger. Aber wenn so eine Kette erst mal da ist, ist es auch leichter, die noch zu verlängern, als wenn man bei Null anfangen muss. Und wir werden hier immer besser. Die Ketten dessen, was möglich ist oder was dann recycelt werden kann, werden länger und die Anteile werden tendenziell größer.
Göpel: Das ist schön, dass Sie die Chemie auch hier als zentrales Element sehen. Was mir schlagartig schon wieder einfällt, aber es wär ein anderes spannendes Thema, ist die Chemikalienstrategie der EU und ob die dann förderlich oder hinderlich ist in diesem Sinne, wenn uns da Stoffe eingeschränkt nur noch zur Verfügung stehen. Für heute für das Thema Rohstoffe soll es das gewesen sein und ich bedanke ich mich für das Gespräch.
Bardt: Gerne und vielen Dank für die Einladung.
Göpel: Ja, gerne. Zum Abschied, ist so mein Klassiker, bitte ich Sie noch um zwei Titel für meine Wir. Hear.-Playlist. Also bei welcher Musik können Sie sich am besten entspannen oder welche Titel hören Sie, wenn ein Projekt richtig gut gelaufen ist?
Bardt: Das ist sehr, sehr vielfältig. Was mir gerade einfällt, ist Queen und Bohemian Rhapsody, weil das so vielfältig ist und so viele unterschiedliche Stile da zusammenkommen. Und dann bin ich so ein Kind der 80er und The Eurythmics fällt da mir ein, also einiges, was auf Ihre Playlist passt.
Göpel: Perfekt. Vielen Dank. Liebe Zuhörende, das war eine weitere Folge von Wir. Hear. Zu Gast war Professor Dr. Hubertus Bardt, Geschäftsführer beim IW in Köln. Wir haben über das Rohstoffland Deutschland gesprochen. Wenn Sie Fragen, Hinweise oder sogar Lob haben, dann senden Sie mir eine E-Mail an podcast@wir-hear.de und empfehlen Sie den Podcast gerne weiter. Vielen Dank und bis bald.