Politik & Wirtschaft

Podcast Wir. Hear.: Chemisches Recycling – unausgereift oder innovativ?

· Lesezeit 26 Minuten.
Podcast Wir. Hear.: Chemisches Recycling – unausgereift oder innovativ?
Neue Verfahren: Auch die BASF setzt auf "Chemcycling" zur Verwertung von Kunststoffabfällen. Foto: BASF

Deutschland und Europa brauchen eine funktionierende Kreislaufwirtschaft: Chemisches Recycling könnte dabei ein Baustein sein. Das meinen zumindest Vertreter der Industrie. Umweltorganisationen kritisieren das Verfahren hingegen. Wie fortgeschritten ist die Technologie des chemischen Recyclings? Und welche politischen Rahmenbedingungen gibt es?

 

Diese und andere Fragen beantworten Winfried Golla, Geschäftsführer des Verbands der chemischen Industrie Baden-Württemberg (VCI BW) und Dieter Stapf, Leiter des Instituts für Technische Chemie (ITC) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT),  im Gespräch mit Gastgeber Tobias Göpel.

 

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Tobias Göpel: Die Technologie des chemischen Recyclings findet seitens der Industrie viele Fürsprecher. Gleichzeitig gibt es einige Kritik aus verschiedenen Umweltorganisationen. Kann das chemische Recycling ein Baustein der Kreislaufwirtschaft sein? Wie fortgeschritten ist diese Technologie und welche politischen Rahmenbedingungen gibt es? Dazu spreche ich heute mit Winfried Golla vom Verband der Chemischen Industrie und Dieter Stapf vom Karlsruher Institut für Technologie. Hallo! 

 

Golla/Stapf: Hallo! 

 

Göpel: Hallo Herr Stapf! Wir steigen gleich in die Fragen rein. An Sie, Herr Golla: Heute sprechen wir über das chemische Recycling. Laut NABU gibt es keine einheitlich bindende Definition. Dort, also beim NABU, werden verschiedene Ansichten des Umweltbundesamtes von Zero Waste Europe und In4Climate angeführt. Wie ist Ihre Meinung? 

 

Golla: Ja, der NABU hat absolut recht in diesem Fall. Es gibt in der Tat keine einheitliche rechtliche und auch keine einheitliche technische bindende Definition. Aber wir haben, und das glaube ich, kann ich für alle sagen, ein einheitliches technisches Grundverständnis. Und zwar, wenn wir die mechanisch-physikalischen Recyclingverfahren betrachten, bleiben die Polymerketten, die Kunststoffe im Wesentlichen unverändert. Also man sortiert, man schmilzt und kommt zu ähnlichen Grundstoffen. Beim chemischen Recycling ist es so, dass man eine Zerlegung in die chemischen Grundbausteine macht und mit denen dann wieder stoffliche Nutzung macht. Also in beiden Fällen hat man eine stoffliche Nutzung am Ende. Aber, und jetzt kommt die Differenz, die durchaus da ist, und ich denke, das meint auch der NABU: Es gibt eine unterschiedliche rechtliche Betrachtung hinsichtlich dieser stofflichen Nutzung. So wird dem chemischen Recycling von einigen Seiten nicht zugestanden, dass es ein echtes Recycling – rundum glückselig machend im abfallrechtlichen Sinne –ist, sondern dass es da so eine Art Diskriminierung gibt. Und das ist in Deutschland sicherlich ein Standortnachteil für mögliche Investitionen in diese neue Technologie, die in anderen Staaten ja schon ganz gut durchstartet. 

 

Göpel: Auch in der chemischen Industrie ist ja auch das chemische Recycling durchaus umstritten. Deswegen würde ich gerne konkret zu Ihnen, Herr Stapf, kommen und zur Technologie selbst. Herr Golla hat es ja angesprochen Das mechanische Recycling, das ist das klassische. Dann denken wir an riesige Gebinde aus Papier oder Plastikflaschen. Die werden geschreddert und neu verwendet zu einer Rolle Papier oder einer neuen PET-Flasche. Was unterscheidet das chemische Recycling konkret von diesen Verfahren und wo wären die Vorteile? 

 

Stapf: Ja, genau. Bei Kunststoffen denkt man bei Recycling eben daran, dass man den Kunststoff einsammelt, sortenrein sortiert, ihn wieder eischmilzt und dann ein neues Produkt draus macht. Also aus der Lebensmittelverpackung zum Beispiel eine Umverpackung für Waschmittel oder ähnliches. Das wäre das sogenannte mechanische Recycling. Beim chemischen Recycling, wie wir es jetzt eben auch schon richtig, völlig richtig gehört haben, wird der Kunststoff zerlegt in kleine Grundbausteine. Rohstoffe, aus denen man dann wieder beliebige chemische Produkte herstellen kann. Also das chemische Recycling ersetzt quasi das Erdöl, aus dem heute Kunststoffe gemacht werden oder das Erdgas als fossilen Rohstoff und setzt eben den Kunststoffabfall wieder ein. 

 

Göpel: Was genau passiert bei diesen Verfahren? Es gibt ja da den Hinweis, dass auch zusätzlich viel Energie mit reingebracht werden muss, um diese Stoffe letztendlich zu recyclen oder aufzuarbeiten. Wie kann man sich das vorstellen? 

 

Stapf: Also chemisches Recycling, da gibt es ganz unterschiedliche Prozesse. Also manche Kunststoffe, die lassen sich durch Lösemittel, Chemikalien wieder in ihre Grundbausteine, die Monomere, aufspalten. Das passiert beim chemischen Recycling, bei zum Beispiel Polyethylenterephthalat. Das PET-Material, aus dem Getränkeflaschen sind. Das kann man tatsächlich so wieder zurück lösen, die meisten anderen Kunststoffe leider nicht. Dann gibt es thermische Verfahren, das heißt Sie wenden Temperatur an, zum Beispiel bei der Pyrolyse erhitzt man den Kunststoff so lange, bis er thermisch zerfällt, eben in viele kleine Bausteine, mit Temperaturen von zum Beispiel 500 Grad für die meisten Kunststoffe. Und dann gibt es noch die sogenannten Vergasungsverfahren, da nimmt man Sauerstoff, hat höhere Temperaturen und die Kunststoffe, die zerfallen dann auch nicht in kleine Moleküle, sondern in sehr kleine, nämlich in Synthesegas, aus dem man auch wieder chemische Synthesen macht, was auch ein typisches Produkt der Chemieindustrie ist. Das wären so die Wege. 

 

Göpel: Und wie ausgereift sind diese Prozesse und welche Unternehmen sind da die technologischen Treiber? 

 

Stapf: Also unterschiedliche Prozesse sind unterschiedlich weit ausgereift. Das chemische Recycling jetzt also wirklich großtechnisch anzuwenden, Recycling zu machen auf diesem Wege wird ja erst seit wenigen Jahren wieder umfassend betrieben. Grund sind natürlich Klima und Umwelt, die uns hier treiben. Zu Recht, denn wir recyceln viel zu wenig. Es gibt erste Verfahren, die wirklich in der Industrie schon oder ich sage mal groß etabliert sind. Relativ gut schmelzbare Kunststoffe, Verpackungskunststoffe, Mischkunststoffe können schon umgesetzt werden in den ersten Prozessen. Und ansonsten gilt, dass diese Technologien in der Entwicklung sind, also da müssen jetzt die größeren Demonstrationsanlagen gebaut werden, dass man da relevante Anwendung bekommt. Denn chemisches Recycling zielt ja darauf ab, die Dinge zu recyceln, die wir bisher nicht recyceln können. Und dafür müssen diese Verfahren nun weiterentwickelt werden und müssen ihre Leistungsfähigkeit, ihre Wirtschaftlichkeit zeigen. 

 

Göpel: Das heißt, das mechanische Recycling ist von der Entwicklung schon weiter vorangeschritten und das chemische zieht jetzt quasi noch hinterher von der Entwicklungsstufe. 

 

Stapf: Das kann man so sagen. Wir haben bisher das recycelt mechanisch, was einfach zu recyceln ist, also die relativ sauberen Kunststoffe, die wenig funktionalisiert sind, eben die Verpackungskunststoffe. Wir denken an den gelben Sack, die gelbe Tonne oder die super saubere Getränkeplastikflasche, die sind gut recycelbar. Da hat man das mechanische Recycling entwickelt. Das betrifft aber eben im Wesentlichen Verpackungskunststoffe oder mal saubere Abfälle aus der Produktion. Die sind ja auch gut sortierbar, die sind wenig verunreinigt, aber alles andere eben nicht. Und dafür kann man oft nicht mechanisch recyceln. Manche Kunststoffe kann man noch nicht mal aufschmelzen, also die kann man gar nicht so einfach mechanisch recyceln, Verbundmaterialien auch nicht. Das heißt, dafür müssen erst die Verfahren entwickelt werden. Und deshalb ist das chemische Recycling hier in dem Sinne neu. 

 

Göpel: Herr Golla, das klingt für mich jetzt gut, dass es einen zusätzlichen Weg gibt, in der Kreislaufwirtschaft Kunststoffe zu recyceln. Wird das chemische Recycling seitens der Politik auch als ein gleichwertiger Baustein in der zirkulären Wirtschaft gesehen oder gibt es da Hemmnisse? 

 

Golla: Ja, in der Politik gibt es hier unterschiedliche Sichtweisen hinsichtlich der chemischen Recyclingverfahren, insbesondere wie technologieoffen man hier sein soll oder auch darf. Wenn man auf der EU-Ebene beginnt, ist es eigentlich aus Sicht der chemischen Industrie und des VCI sehr positiv. Hier haben wir eine sehr offene Betrachtung des chemischen Recyclings und der Verfahren. Hier gibt es keine diskriminierenden rechtlichen Regelungen. Es gibt eine weite Recyclingdefinition, das heißt von Altautoabfällen bis Elektroschrott, Bauabbruch-Abfällen, aber auch Verpackungsabfälle kann alles diskriminierungsfrei aus rechtlicher Sicht chemisch recycelt werden. Wird auch als Recycling anerkannt. In Deutschland ist es mittlerweile so, dass auch die herrschende Meinung so ist, dass für die meisten Ströme das auch gilt. Aber, und jetzt kommt das große Aber: Für einen großen Strom, nämlich für die Verpackungsabfälle, gibt es eine deutsche Sonderregelung im deutschen Verpackungsgesetz noch, die diskriminierend ist hier gegenüber dem Recycling von Kunststoffabfällen aus Verpackungen, die aus Verpackungen entstanden sind. Und das ist natürlich ein Investitionshindernis, ein Standortnachteil hier für die Entwicklung, Weiterentwicklung, großtechnische Weiterentwicklung des chemischen Recyclings in Deutschland, wenn in den Niederlanden der rote Teppich ausgerollt wird oder auch in Belgien, und wir haben mit solchen Regelungen zu kämpfen. Insofern sind wir froh und dankbar seitens der chemischen Industrie, dass im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung nunmehr drinsteht, dass das chemische Recycling als gleichwertige Recyclingoption auch im Verpackungsgesetz anerkannt werden soll. Hier warten wir allerdings jetzt auch darauf, dass das umgesetzt wird. Wir haben leider noch keine rechtlichen Vorschläge gesehen, die das jetzt konkretisieren. Und da wird es jetzt höchste Zeit, dass wir hier voranschreiten, denn global agierende Konzerne können überall in der Welt investieren. Und wenn sie in Europa ein level playing field, also gleiche Wettbewerbsbedingungen, haben, außer in Deutschland, und Sie haben da eine Diskriminierung, und wenn es auch nur ein Abfallstrom ist, dann guckt man sich den Standort Deutschland deutlich kritischer an hinsichtlich von Neuinvestitionen in diesem Bereich als andere Standorte. Also da hoffen wir, dass das, was jetzt positiv im Koalitionsvertrag steht, dass die Regierung hier relativ schnell handelt. 

 

Göpel: Regierung soll handeln, Unternehmen handeln auch, Herr Golla. Wir haben ja noch die Rolle des Verbrauchers. Und wie sehen Sie das? Müssen wir uns als Verbraucher darauf einstellen, Müll zukünftig noch kleinteiliger zu trennen, oder, Herr Stapf hat es ja vorhin gesagt, dass beim mechanischen Recycling nur sauberer Kunststoff letztendlich ja gut geeignet ist. Inwiefern müssen wir da kleinteiliger werden, es vielleicht vorher reinigen oder auch letztendlich müssen wir auch lernen, Recyclingprodukte beim Kauf besser anzunehmen? 

 

Golla: Das wesentliche Ziel ist es ja erst mal, mehr Kohlenstoff im Kreislauf zu führen. Ich denke, da sind sich auch alle einig. Und um eben die Transformation der Wirtschaft, der Industrie, der Gesellschaft hinzubekommen, um die Rohstoffbasis zu optimieren, um Rohstoffunabhängigkeit zu bekommen, was ja auch aktuell ein sehr wichtiges Thema ist und Klimaneutralität. Und da müssen alle mit ins Boot und das muss Hand in Hand gehen. Und das fängt natürlich beim Verbraucher an. Der Verbraucher muss bereit sein, gegebenenfalls um jetzt auch die klassischen Recyclingverfahren im Mechanischen voranzutreiben, aber auch um das chemische zu optimieren. Muss bereit sein, in dem Bereich mehr vielleicht zu trennen, zu sammeln, zu optimieren, in dem Bereich mit Unterstützung dann der Politik und des Gesetzgebers vielleicht. Und auch Akzeptanz natürlich hinsichtlich Produkten, die dann vielleicht von der Haptik ein bisschen anders sind, aber trotzdem qualitativ natürlich noch das erfüllen, was sie müssen. Und ich glaube, was wir nicht erwarten können, dass der Verbraucher jetzt Lebensmittelverpackungen bekommt, wo irgendwas raus diffundieren kann in das Lebensmittel. Das ist a verboten und b das kann man dem Verbraucher natürlich nicht zumuten. Also man muss sehen, man muss den Verbraucher mitnehmen. Da, wo es möglich ist und ihm nutzt. Die Industrie gehört auch dazu. Hinsichtlich dieses Hand-in-Hand-Gehens, was ich vorhin sagte. Da geht es dann um Ökodesign, aber auch um Entwicklung neuer Technologien, um eben das Recycling hinsichtlich mehr Kohlenstoff im Kreislauf zu führen voranzubringen.Das trifft die Grundstoffindustrie genauso wie die Kunden der Industrie. Und die Entsorgungswirtschaft muss man hier auch mitnehmen. Die Politik braucht dafür diese Technologieoffenheit und wenn das alles so gelingt, dann kommen wir irgendwann zu einer sauberen kaskadischen Nutzung von Kunststoffabfällen, die dann ökobilanziell abgesichert werden muss. Und zwar, dass mechanische Verfahren ergänzt werden durch chemische, ergänzt werden, wenn dann gar nichts mehr geht, durch die energetische Verwertung und entsprechende Verfahren mit anschließender Nutzung des CO2, was dabei entsteht, das man dann wieder stofflich nutzt. Das wäre so die optimale Kaskade, die man hier nutzen kann. Und da entscheidet die Ökobilanz, was der beste Weg ist. Und ich denke, so kommen wir gut voran. 

 

Göpel: Hand in Hand gehen ist ein gutes Stichwort für Herrn Stapf. Gibt es Rohstoffinnovationen, die chemisches Recycling künftig noch einfacher machen? Also zum Beispiel Stoffe, die sich leichter zerlegen, wieder zusammensetzen lassen und trotzdem den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. 

 

Stapf: Also grundsätzlich kann man ja mit chemischem Recycling alles recyceln. Also das ist ja genau der große Vorteil. Ich kann eben alle Arten von Abfällen, Kunststoffe, ich kann auch Biomasse wieder zerlegen in Grundbausteine der Chemie. Manche Polymere, das liegt in der Natur des Polymers, die depolymerisieren, wenn man sie thermisch zerlegt. Ein Beispiel ist das Polystyrol. Styroldämmstoffe könnte man sehr gut chemisch recyceln, die können sie mechanisch praktisch gar nicht recyceln. Das gelingt nicht. Oder Nylon, also Polyamid 6, also das wäre so ein Stoff, der zerlegt sich tatsächlich in sein Monomer. Prima geeignet. Aber die Natur der Kunststoffe und erst recht der Biomasse macht’s bei allen anderen eigentlich unmöglich, die können Sie nicht depolymerisieren, die können Sie nur zu Chemierohstoffen umsetzen. Den thermischen Recyclingverfahren, den thermisch-chemischen Recyclingverfahren ist das aber jetzt erst mal grundsätzlich egal. Dafür sind die ja da und dafür passt das. Beim mechanischen Recycling, ich nehme wieder als Beispiel die PET-Flasche, da sind natürlich manche Kunststoffe wirklich sehr gut rezyklierbar, insbesondere wenn da wenig enthalten ist. Die PET-Flasche, das Polymer kann man bis zu fünfmal mechanisch recyceln und danach können Sie es auch noch chemisch zerlegen und so wieder zurückgewinnen, als […]verfahren, als Monomer. Also das ist natürlich der Idealkunststoff. Leider kann man viele Kunststoffanwendungen nicht aus diesem Kunststoff herstellen, aber im Verpackungsbereich ist das ein klasse Produkt. 

 

Göpel: Recycling klingt ja erst mal nachhaltig. Aber auch hier gibt es ja die Kritik, dass chemisches Recycling kein wirkliches, keinen wirklichen Vorteil bietet. Wie nachhaltig ist denn aus Ihrer Sicht das chemische Recycling im Vergleich zur Neuproduktion, zum Beispiel beim Einsatz von Energie? 

 

Stapf: Jedes Recycling ist, also mechanisches oder chemisches, ist sowieso in Hinblick auf Klima, auf Umwelt, auf Energie, der Produktion aus dem fossilen Rohstoff weit überlegen. Also dass wir Kunststoffe recyceln als hochwertige, sehr energiereiche Produkte, ist absolut wichtig, egal ob chemisch oder mechanisch. Denn um Kunststoffe herzustellen, brauchen sie ungefähr doppelt so viel Energie, wie die im Kunststoff enthalten ist. Allein vom Erdöl, von der Bohruelle bis über die vielen Schritte, Transport und chemische Umsetzung, bis dann das Produkt entstanden ist. Rezyklieren wir also mechanisch oder chemisch, da sparen wir schon mal die ganze Energie, die auf dem langen Weg bis zum Rohstoff, zum Einsatzstoff, zu dem Leichtbenzin, aus dem viele Kunststoffe gemacht werden, nötig sind. Chemisches Recycling an sich hat erst mal keinen besonders hohen Energiebedarf. Man denkt das vielleicht, weil da hört man, man braucht Temperatur dafür, aber um ein Polymer zu zerlegen in kleine Bausteine ist nicht viel Energie nötig. Man muss nur auf einem bestimmten Temperaturniveau arbeiten. Und diese Temperatur, die bekommen Sie schon, wenn Sie die Nebenprodukte des chemischen Recyclings nutzen. Also ob ich jetzt zum Beispiel einen Reinkunststoff mechanisch recycle oder chemisch, das gibt sich energetisch extrem wenig. Wichtig ist, dass diese Verfahren, egal mechanisch oder chemisch, ganz viel neues Produkt erzeugen und wenig Nebenprodukte. Dass beim mechanischen Recycling nicht unheimlich viel übrigbleibt, dass verbrannt werden muss, dass die chemischen Recyclingverfahren, die jetzt entwickelt werden, dann möglichst viel Rohstoff machen und wenig Nebenprodukte. Und da ist eigentlich der Punkt, wo man die Effizienz erhöhen kann, wo man möglichst viel Treibhausgase einspart. Ich glaube, dass man, ich mein, diese ganzen Prozesse sind superkomplex und auch nicht einfach zu erklären. Und vieles, was man so an Fragen hört zum chemischen Recycling, ja, ich glaube, da ist wenig Wissen vorhanden, das ist neu, das sind sehr komplizierte Vorgänge und man muss sich damit einfach befassen, um das zu sehen, wo die Vorteilhaftigkeit ist und wo man Dinge, die man mechanisch nicht recyceln kann, nutzhaft für Klima und Umwelt eben chemisch recyceln muss. Ich sage bewusst muss, denn wir recyceln viel zu wenig, um unsere Klimaziele zu erreichen. 

 

Göpel: Ja, in der Tat, heute ist ein guter Anlass, darüber zu sprechen. Also ich habe durchaus verstanden, dass man über mechanisches Recycling Kunststoff wiederverwerten kann. Das hat aber seine Grenzen, auch was die Eigenschaften betrifft. Und dann ist es letztendlich sinnvoll, mit chemischem Recycling diese Rohstoffe wieder zu verwerten. Sie werden komplett zerlegt in einzelne Bausteine. Bausteine können wieder zusammengefasst werden oder zusammengestellt werden und haben entsprechen wieder diese neuen Eigenschaften, die wir haben wollen. Herr Stapf, welche strukturellen Voraussetzungen braucht denn chemisches Recycling? Also funktioniert unser Kunststoffkreislauf überhaupt gut genug vom Sammeln bis zum Wiederverwerten? Oder braucht es da mehr? 

 

Stapf: Mit chemischem Recycling, also ich meine, Sie werden sich auch immer mit so einem Verfahren anpassen auf eine bestimmte Abfallart, eine bestimmte Zusammensetzung eines Abfalls. Ich hatte schon gesagt, Dämmstoffe aus dem Baubereich, die ja viel CO2 sparen, gut sind für unser Klima und mechanisch nicht recycelt werden können. Da werden wir in Zukunft chemische Recyclingverfahren benötigen und dafür wird man dann Prozesse entwickeln oder das wird eigentlich schon gemacht. Und wenn Sie jetzt mal, nehmen Sie mal Automobil-Altfahrzeuge, die werden irgendwann geschreddert und die ganzen Kunststoffe, die in dem Automobil waren, das ist eine große Mischung hoch funktionalisierter technischer Kunststoffe, die man quasi mechanisch nicht recyclen kann. Die werden verbrannt. Hierfür wird man dann chemische Recyclingverfahren entwickeln, die dafür gut geeignet sind und die ganzen Flammschutzmittel, die Farbstoffe, die Effektstoffe eben möglichst gut entfernen. Also der Vorteil vom chemischen Recycling: Sie machen kein Downcycling, sondern hinterher wird dann wieder Neuwarenqualität hergestellt. Ich glaube nicht, dass wir also in einem gut entwickelten Land wie Deutschland, was die Abfallwirtschaft angeht, unsere Abfälle wirklich gesammelt werden, da wird nichts deponiert, da gelangt eigentlich auch kaum was in die Umwelt, Da haben wir die perfekten Voraussetzungen, um jetzt das chemische Recycling, ja wie sagt man so schön, obendrauf zu satteln. Also da sind unsere Systeme gut. Wollen wir mehr mechanisch recyceln, dann müssen wir halt noch mehr trennen, noch mehr getrennt sammeln. Da muss Ökodesign eine Rolle spielen. Das hilft uns aber nichts für die ganzen langlebigen, komplexen Produkte, die alle schon gemacht sind. Das geht halt nur mit chemischem Recycling. Und dafür haben wir eigentlich die Sammelsysteme schon, die die man benötigt. Sammeln ist immer die Voraussetzung, um überhaupt Recycling möglich zu machen. 

 

Göpel: In Deutschland können wir unsere Recyclingquote erhöhen, wir deponien zum Glück nichts. Im Rest von Europa sieht das ganz anders aus. Andere Staaten haben noch eine hohe Quote bei der Deponierung von Kunststoffen. Ist das chemische Recycling eine Aufgabe, die die klassischen Recyclingunternehmen leisten können oder kann sich da die Chemieindustrie auch eine Art Wertschöpfung reinholen? Dass wir also da bewusst auch europaweit denkend schauen, dass wir die Deponierung von Kunststoffen reduzieren und für uns eine Wertschöpfung generieren? 

 

Golla: Das Thema Deponierung von Kunststoffen ist Gott sei Dank ja in Deutschland obsolet seit 2005. Aber in Europa ist es in der Tat noch ein Thema. Es gibt Übergangsfristen, lange Übergangsfristen, die der Gesetzgeber ja eingeräumt hat, die leider immer noch, es führt dazu, dass immer noch weiter deponiert wird, und da geht uns natürlich ein wichtiger Rohstoff verloren. Das ist also beklagenswert. Da gibt es auch keinen Dissens in der deutschen Politik oder Anschauung diesbezüglich. Dass die klassischen Recyclingunternehmen hier genauso eine Wertschöpfung generieren können, wie auch die Chemie, die gesamte Wertschöpfungskette., das liegt auf der Hand. Man muss aber alle mitnehmen, es soll keine Verdrängung entstehen. Große Entsorgungsunternehmen können auf jeden Fall hier vielleicht stärker diversifiziert auftreten und sich der neuen Technologie direkt auch als Konzern widmen, während kleine weiterhin im Bereich des mechanischen Recyclings unterwegs sein werden. Alle müssen ihren Platz haben, keiner soll verdrängt werden und dann geht es eben so, dass diese Chancen in der ganzen Wertschöpfungskette sich weiter genutzt werden können von Anlagenbauern, die dann entsprechend hier mit ins Boot geholt werden. Die Grundstoffchemie natürlich wird mit ins Boot geholt werden, wird mit ins Boot geholt, weil man hier entsprechend dann im Kunststoffbereich aktiv werden kann mit dieser neuen Technologie. Die Kundenindustrie, die Spezialchemie, und dann am Ende wieder der Verbraucher und die Politik muss all das ermöglichen. Eine schöne Möglichkeit oder eine Chance, das umzusetzen, wäre eigentlich die Reallabor-Idee, die im Bereich der Energiewende oder auch im Bereich der Digitalisierung schon umgesetzt wurde. Dass man hingeht und all die Player, die ich gerade genannt habe, dass man also Politik, Industrie, Entsorgungswirtschaft zusammenbringt, großtechnische Anlagen in einem geschützten Raum als Demonstrationsanlagen werden da geschaffen und vielleicht mit einer rechtlichen Experimentierklausel, die es eben in den anderen Reallabor-Ideen im Energiewende- und Digitalisierungsbereich schon gegeben hat, dass man eine rechtliche Experimentierklausel macht, um Hürden abzubauen. Und da hat man das Henne-Ei-Problem, was wir oft hier beklagen – also die Politik sagt der Industrie, investiert doch bitte erst mal, wir machen euch dann die rechtlichen Rahmenbedingungen sauber, und umgekehrt sagt natürlich die Industrie, wir können ja nur investieren, wenn wir Investitionssicherheit haben, die rechtlichen Rahmenbedingungen stimmen – da wäre wirklich die Idee, diese Reallabor-Idee auch hier zu nutzen und zu versuchen, so etwas hier gemeinsam hinzubekommen. Denn dann geht es voran. 

 

Göpel: Gemeinsam etwas tun und auch Verantwortung übernehmen ist auch mein nächstes Stichwort. Herr Stapf, Kohlenstoff, der im Kreislauf ist, ist ja der Idealfall. Aber was aber passiert mit den vielen 1000 Tonnen, die auf Müllkippen sind? In Wäldern und Meeren sind und wertvolle Kunststoffe enthalten? Wen sehen Sie da in der Verantwortung, auch diese Mengen möglichst dem Recycling zuzuführen? 

 

Stapf: Das ist eine komplexe Frage. Dass Kunststoffe im Meer sind, ist ja letztendlich dem Mensch, dem Individuum, dem Sozialverhalten zu schulden. Ich denke, wir haben gelernt, dass man Abfälle nicht einfach in die Landschaft schmeißt, weil es eben schädlich ist. Und ich glaube, in vielen Ländern der Welt, vielen Kulturen ist dafür auch ein großes Bewusstsein mittlerweile entstanden. Und das ist der erste wichtige Schritt: Dinge nicht unkontrolliert zu entsorgen oder loszuwerden, sondern eben sammelfähig zu machen. Heute ist das in vielen Gesellschaften, das ist in Deutschland sicherlich so und das ist in Singapur so, das ist auch in China so, werden Abfälle gesammelt und einer Verwertung zugeführt und man versucht den bestmöglichen Weg zu finden. Und für unsere Klima- und Umweltziele gilt halt, das geht nur durch Recycling. Das ist logisch, dass das der richtige Weg sein muss und da müssen alle an einem Strang ziehen. Natürlich werden gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen und so gestaltet, dass eben Recycling auch gefördert wird. Nachhaltigkeit, darum geht es ja, heißt für mich immer natürlich auch, dass jeder selbst nachhaltig handeln muss. Also es ist ein großer gemeinsamer Effort. Es gibt immer Eigentümer für Abfälle. Nehmen wir die Deponien, die die Kommunen früher errichtet haben. In Stadtnähe würde man da mit dem modernen Wort von Urban Mining sprechen. Denn auch das sind natürlich Speicher für Materialien und für Kunststoffe, für Abfälle, die wir irgendwann zurückgewinnen werden. Wir werden das sehen, selbstverständlich, wenn wir die Deponien irgendwann wieder öffnen, wenn sie gut zugänglich sind und auch die Kunststoffe daraus gewinnen. Genauso wie wir in unseren Gebäuden irgendwann in 20, 30 Jahren beim Rückbau die Dämmstoffe chemisch recyceln werden. Wir werden die ja nicht wegschmeißen wollen. Also das sind Dinge, die Gesellschaften stemmen werden und müssen. 

 

Göpel: Herr Stapf, ich hatte Sie ja so verstanden, dass man mit chemischem Recycling auch verschmutzen Kunststoff letztendlich wieder aufbereiten kann. Also wenn ich jetzt mal ganz speziell an das Meeresplastik denke, das wäre durchaus möglich, das herauszufischen und über das chemische Recycling wieder dem Kreislauf zuzuführen. 

 

Stapf: Ja, ich glaube, das Rausfischen ist ein Riesenproblem. Also das Allerwichtigste wäre, dass wir erst mal aufhören, weiter Plastik in die Flüsse und in die Meere gelangen zu lassen. Und natürlich können wir als Deutsche sagen, wir machen das ja eigentlich nicht. Das machen andere Länder und Kulturen, wie wir gelernt haben. Aber da werden wir sicher auch unterstützen müssen. Also das Sammeln des Meeresplastiks ist durchaus eine Riesenherausforderung. Wenn man irgendwas möglichst weit verteilt, ist der Aufwand, das wieder einzusammeln, riesig. Das sind überwiegend Verpackungskunststoffe dort in den Ländern, wo sie ins Meer entlassen werden und die sind dann verunreinigt und da hängt dann Salz dran, wenn man es gewonnen hat. Es kann so mechanisch eigentlich gar nicht gut recyceln. Klar, das könnte man chemisch recyceln. Technologisch ist das wahrscheinlich das kleinste Problem, was Recycling angeht. 

 

Göpel: Da kommen wir zu den politischen Rahmenbedingungen, Herr Golla. Also wir haben ja festgestellt, Technologieoffenheit bei der Politik wäre durchaus sinnvoll. Könnte eine Arbeitsteilung auch darin bestehen, dass man sich beim chemischen Recycling erst mal auf das konzentriert, was quasi an Müll schon vorliegt, der mechanisch gar nicht mehr verarbeitet werden kann? 

 

Golla: Also Technologieoffenheit ist in der Tat erst mal das A und O, dass man sich hier den besten Lösungen nähert und da entscheidet dann schlichtweg immer das, was aus ökobilanzieller Sicht die beste Lösung ist. Und da ist es eben so, dass das mechanische Recycling sich erst mal mit dem beschäftigt, wo ich relativ sortenrein rangehen kann. Und das chemische ist dann jemand, der ergänzend, das sind die Verfahren, die dann ergänzend hier greifen, das sind die Dinge, die klassisch mechanisch, eben nicht vernünftig recycelt werden können. Da greift das chemische, und diese Kombination, und das ist auch mehrfach seitens der Wissenschaft, auch am KIT beispielsweise gezeigt worden, dass diese Kombination dann optimal ist, um Kohlenstoff im Kreislauf zu führen, dass ist dann diese Arbeitsteilung auch zwischen den Recyclingtechnologien, denke ich. Und was ein ganz wichtiger Punkt in dem Bereich ist, ist das Thema, dass Zielkonflikte aufgelöst werden können und zwar Zielkonflikte zwischen Energiewende vielleicht auf dem einen, wo man sagt Ich habe Werkstoffe, die der Energiewende dienen, die brauche ich, wärmende Verbundsysteme, wo es am Ende dann aber keine vernünftigen mechanischen Recyclingmöglichkeiten gibt. Wenn ich nur auf das Recycling gucken würde, auf das klassisch mechanische Recycling, müsste ich ja eigentlich hingehen als Gesetzgeber und solche wärmenden Verbundsysteme aus dem System nehmen, wenn ich eindimensional denken würde. Und damit habe ich den Zielkonflikt. Und den kann ich auflösen mit dieser neuen Technologie, indem ich sage, damit etwas dann nicht am Ende nur in Anführungszeichen in die Verbrennung geht, sondern dass ich vielleicht noch was Gutes daraus machen kann, hilft das. Das hilft auch im Leichtbaubereich, was ich für Elektromobilität brauche, Windräder, all das, was der Energieeffizienz, der Energiewende dient, was aber klassisch schlecht zu recyceln mechanisch ist. Da kommt diese neue Technologie und löst solche Zielkonflikte auf. Auch das sehe ich mal unter dem Thema Arbeitsteilung. Die Arbeitsteilung selber erfolgt dann wiederum in der Wertschöpfungskette, wo sich dann auch die einzelnen Player ergänzend unterstützen sollen und gemeinsam dieses Thema auch als Wirtschaftseinheit angehen können, wo Recycler ihre Rolle spielen, die Industrie und auch am Ende dann die Kunden. 

 

Göpel: Lieber Herr Stapf, lieber Herr Golla, vielen lieben Dank für die Einblicke und das Gespräch. Zum Abschied bitte ich noch um zwei Titel für meine Wir. Hear.-Playlist. Und Herr Stapf, ich fange bei Ihnen an: Bei welchen Songs können Sie am besten entspannen oder welche Titel hören Sie gerne, wenn ein Projekt richtig gut gelaufen ist? 

 

Stapf: Entspannen heißt ja immer, dass man sokraftvoll sich auf etwas anderes widmet, wenn ich daran denk. Es gibt so ein schönes Lied,einen von den Red Hot Chili Peppers, der heißt Danny California, den kennt der eine oder andere, der ist absolut klasse. Ansonsten Entspannung, also bei mir kommt da manchmal die berühmte Unvollendete von Schubert, die siebte Sinfonie. Sie ist zwar ein bisschen melancholisch, aber wunderbar zum Entspannen, kann ich immer nur empfehlen. Und da sie unvollendet ist, ist sie noch nicht mal so lang. 

 

Göpel: Vielen Dank. Herr Golla, wie schaut es bei Ihnen aus? 

 

Golla: Fangen wir auch mal mit der Entspannung an. Also entspannen kann ich sehr gut bei elektronischer Musik, Elektromusik beispielsweise, um mal ein, zwei Titel zu nennen, Paul Kalkbrenner ist da mein Favourite. Und da hör ich gerne “Dockyard” oder “No Goodbye”, empfehlenswert. Wer es noch nicht kennt: Einfach mal reinhören für Entspannung. Und für gute Laune, wenn etwas wirklich gut geklappt hat, meine Lieblingsband Erdmöbel. “Party deines Lebens”, nicht sehr bekannt, auch hörenswert, wenn man mal gute Laune hat, haben will. Oder auch Peter Fox, “Alles neu”, auch für gute Laune und beim Autofahren bestens geeignet. 

 

Göpel: Liebe Zuhörende, das war eine weitere Folge von Wir. Hear. Zu Gast waren Dieter Stapf vom Karlsruher Institut für Technologie und Winfried Golla vom Verband der Chemischen Industrie. Wir haben über das Potenzial des chemischen Recyclings gesprochen. Wenn Sie Fragen, Hinweise oder sogar Lob haben, dann senden Sie uns eine E-Mail an podcast@wir-hier.de. Vielen Dank und bis bald, Ihr Tobias Göpel. 

 

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