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Zölle: Was bedeutet der Handelsstreit für die Chemieindustrie in Deutschland?

· Lesezeit 7 Minuten.
Zölle: Was bedeutet der Handelsstreit für die Chemieindustrie in Deutschland?
Schädliche Konfrontation: Im Zollstreit mit den USA bietet die EU Verhandlungen an. Die Chemiebranche wünscht sich einen konstruktiven Dialog. Foto: calido – stock.adobe.com

Weitreichende Schritte am „Liberation Day“

Der vorläufige Höhepunkt der aggressiven US-Zollpolitik war der von Donald Trump so bezeichnete „Liberation Day“ (Tag der Befreiung) am 2. April. An dem Tag verkündete er unter anderem:

  • Zusätzliche Zölle von 20 Prozent auf alle Waren aus der EU
  • Reziproke (gegenseitige) Zölle auf alle Importe von Ländern, die höhere Zölle auf US-Einfuhren erheben als die USA auf deren Einfuhren in die USA erhebt. Das betrifft auch die EU.
  • Weitere Zölle für viele Länder, mit den höchsten Zöllen für Lesotho (50 Prozent) und südostasiatische Länder (zwischen 44 und 49 Prozent) und den niedrigsten für Großbritannien und Nordirland (10 Prozent). Auf China-Importe wurden Zölle von 34 Prozent verhängt.

Matthias Blum, Abteilungsleitung Außenwirtschaft beim Verband der chemischen Industrie (VCI), nannte dieses Datum „Destruction Day“ (Tag der Zerstörung). „Die USA haben das von ihnen geschaffene Fundament der Welthandelsordnung demonstrativ verlassen“, stellte er fest. „Allianzen, die in der Nachkriegszeit aufgebaut wurden, spielen keine Rolle mehr.“

Was sind Zölle überhaupt?

Zölle sind eine Art Zusatzsteuer, die ein Staat auf Waren aus dem Ausland erhebt. Dies nennt man Importzölle oder, weil Importzölle viel häufiger sind als Zölle auf Ausfuhren, einfach Zölle.

Importzölle machen ausländische Produkte teurer. Zölle bedeuten zudem Bürokratie. Sie mindern und verlangsamen den internationalen Handel.

Wer Zölle erhebt, verspricht sich davon in aller Regel:

  • höhere Staatseinnahmen
  • Schutz der inländischen Wirtschaft vor internationaler Konkurrenz
  • Abschottung gegen besonders billige Importe, die im Ursprungsland stark subventioniert wurden (sogenannte Anti-Dumping-Zölle)

Wenig begeistert sind meist:

  • Unternehmen, die verzollte (Halbfertig-)Waren einkaufen: Sie müssen länger auf die Vorprodukte warten und höhere Preise zahlen. Das schadet der Wettbewerbsfähigkeit dieser Unternehmen.
  • Konsumenten und gewerbliche Abnehmer: Sie zahlen oft mehr für die Produkte aus dem Ausland. Produkte aus dem Inland wirken dann oft günstiger, weil sie nicht verzollt sind. Sie sind aber nicht automatisch besser. Das kann zu einem Qualitätsverlust für die Kundschaft führen.

US-Zölle: Zwischen Paukenschlägen und Ausnahmen

Bereits in der US-Durchführungsverordnung vom 2.4. waren Ausnahmen enthalten. Weitere wurden danach bekanntgegeben. Viele Chemie- und Pharmaprodukte sind demnach von den Zöllen ausgenommen – noch.

Außerdem setzte der US-Präsident kurz nach dem Liberation Day die angekündigten Zölle für etliche Länder für 90 Tage aus, um zu verhandeln. Dies gilt für die EU, nicht aber für China.

Unterdessen stellte er Zölle auf pharmazeutische Produkte in nicht „allzu ferner Zukunft” in Aussicht. Die geplanten Pharma-Zölle verglich er mit den Strafmaßnahmen in Höhe von 25 Prozent auf die Einfuhr von Autos, Stahl und Aluminium. Er ließ im Unklaren, ob diese Höhe auch für Pharmaprodukte gelten soll.

Sebastian Kautzky, Geschäftsführer Kommunikation des Bundesarbeitgeberverbandes Chemie (BAVC), meint: „Aktuell ist die Entwicklung zu wenig kalkulierbar, um hier konkrete Aussagen zu treffen. Klar ist: Neue Zölle sind ein zusätzlicher Tiefschlag für die Weltwirtschaft. Sie stellen die Frage nach der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland.“

So könnten die Zölle wirken

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) und das Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) rechnen mit diesen Folgen der US-Zölle:

  • Allein die am Liberation Day beschlossenen (jetzt noch nicht umgesetzten) Zölle könnten für Deutschland einen Wohlstandsverlust von 200 Milliarden Euro bedeuten. Diese Summe bezieht sich auf die gesamte vierjährige Amtszeit des US-Präsidenten.
  • Die Konjunkturerwartungen für Deutschland sind im April in den negativen Bereich abgesackt. Dies liegt nicht nur an den Zöllen an sich, sondern auch am Tempo der Änderungen. Die Folge: globale Unsicherheit. Das schadet exportorientierten Branchen wie der Chemieindustrie.
  • Die Konjunkturerwartungen für die Eurozone fielen ebenfalls deutlich.
  • Der Zollstreit dürfte in Deutschland jedoch kaum zu höheren Preisen und steigender Inflation führen. Ein Grund: China könnte sein günstiges Warenangebot in die EU umlenken und unter anderem US-Produkte ersetzen.

Darum findet die Chemieindustrie Besonnenheit wichtig

Als Gegenmaßnahme hat die EU Einfuhren aus den USA mit 25-Prozent-Zöllen belegt. Diese sollen unter anderem für Stahl- und Alu-Produkte, Motorräder und landwirtschaftliche Erzeugnisse gelten, ab Dezember für mehr Waren. Zunächst sind die geplanten Zölle jedoch ausgesetzt. Die EU hat mehrmals betont, dass sie mit den USA verhandeln will.

VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup mahnt: „Jetzt gilt es für alle Beteiligten, einen kühlen Kopf zu bewahren. Die USA sind und bleiben ein zentraler Handelspartner für Deutschland.“ Eine Eskalationsspirale würde den Schaden nur vergrößern, warnt Große Entrup.

Der VCI wünscht sich:

  • Alle Entscheidungsträger sollten eine stabile Gesundheitsversorgung im Blick haben – und somit pharmarelevante Erzeugnisse aus dem Handelsstreit heraushalten.
  • Die EU soll im engen Dialog mit den USA bleiben.
  • Deutschland soll konstruktiv auftreten. Das heißt, Brüssel mit einer starken Stimme sprechen lassen, auch im Interesse der deutschen Industrie.
  • Die EU sollte sich international abstimmen. VCI-Experte Blum bemerkt: „Auch andere betroffene Staaten wie Japan warteten erst einmal ab und behalten sich zwischen Verhandeln und Vergelten alle Optionen offen.“

Reaktionen der Unternehmen 

Für viele Chemie- und Pharmaunternehmen sind die USA ein wichtiger Markt. Beispiel Pharma: Knapp ein Viertel der deutschen Pharmaexporte ging 2024 in die USA. Dieser Anteil belief sich auf einen Wert von 27 Milliarden Euro. Bei einigen Erzeugnissen, zum Beispiel Impfstoffen, betrug der Anteil der US-Exporte an den gesamten exportierten immunologischen Erzeugnissen sogar 34 Prozent.

Wie reagieren sie auf die aktuelle Lage? Der Chef von Boehringer Ingelheim, Hubertus von Baumbach, äußerte sich laut Medienberichten vorsichtig. Zunächst müsse abgewartet werden, wie sich die Zoll-Situation entwickele. Klar sei: Zölle, egal auf welche Produkte, machten es am Ende immer schwieriger. Boehringers Weg: Lieferketten regionalisieren, um weniger grenzüberschreitende Lieferungen zu haben. Mit Partnern investierte das Unternehmen in eine lokale Lieferkette für das Produkt Jardiance in den USA.

International aufgestellte Unternehmen sind jedoch nicht nur von den US-Zöllen auf EU-Waren betroffen. So sagte das Darmstäder Pharmaunternehmen Merck, die Einfuhrabgaben auf chinesische Importe würden sich auf das Geschäft auswirken. Merck sieht die Effekte jedoch als beherrschbar an.

Der Methacrylat-Chemie-Hersteller Röhm erhöhte jüngst seine Preise für bestimmte Acryl-Formmassen. Die Begründung: „Dies ist notwendig, weil Rohstoffe, Zwischenprodukte und Fertigerzeugnisse einiger Röhm Spezialformmassen mit neuen Zöllen belegt werden.“

Regionalisierung und Preisanpassungen sind zwei der zahlreichen Möglichkeiten, auf die Zollpolitik zu reagieren. Sich neue Märkte zu suchen oder mehr in den USA herzustellen, gilt ebenfalls als Option. Letzteres geschieht bereits, wie die Unternehmensberatung KPMG berichtet. Dies könnte bedeuten, dass die Produktionskapazitäten in Deutschland kleiner werden müssen.

Für die künftige Bundesregierung steht im Vordergrund, einen Handelskonflikt mit den USA zu vermeiden. Mittelfristig strebt sie ein Freihandelsabkommen mit den USA an. Zugleich unterstützt sie die EU darin, den Handel mit anderen Ländern und Regionen zu verbessern. So ist es im Koalitionsvertrag beschlossen.

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