Politik & Wirtschaft

Warum der Standort Spanien für die Chemie so attraktiv ist

· Lesezeit 4 Minuten.
Ein Solarpark in Andalusien ist im Vordergrund zu sehen, dahinter Berge und Windräder. (Foto: stock.adobe.com – Alice_D)
Solarfeld in Andalusien: Etwa 3.000 Stunden im Jahr scheint in Spanien die Sonne, in Deutschland sind es nur 1.600 Stunden. Das macht Solarstrom in Spanien sehr günstig. (Foto: stock.adobe.com – Alice_D)

Sonne, Fußball, Tapas: Das verbinden viele Deutsche mit Spanien. Dabei hat das Land auf der iberischen Halbinsel mehr zu bieten zum Beispiel eine starke, aufstrebende Chemieindustrie. 

„Die spanische Chemie hat langfristig sehr gute Wachstumsperspektiven“, sagt Oliver Idem. Er arbeitet für die Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing (GTAI) in Madrid. Zwar habe die Branche auch unter Ukraine-Krieg, Energiekrise und Nachfrageschwäche gelitten. Aber sie habe die beiden schwierigen Jahre mit viel geringerem Produktionsrückgang weggesteckt als die deutsche Chemie. 

Die Branche hierzulande zwar insgesamt deutlich stärker: Im vergangenen Jahr setzte die deutsche Chemie- und Pharmaindustrie rund 225 Milliarden Euro um, 60 Prozent davon im Ausland. Sie ist die Nummer eins in Europa und weltweit auf Rang drei hinter China und den USA. Doch der Wettbewerb mit Spanien dürfte sich in Zukunft verstärken. 

Standortvorteile: Geringere Arbeitskosten, viel Ökostrom

Die chemisch-pharmazeutische Industrie Spaniens liegt weltweit auf Platz 17. Laut dem Branchenverband Feique setzte sie im vergangenen Jahr 82,5 Milliarden Euro um. Gut 72 Prozent davon machen die 3100 Unternehmen im Export. 233.000 Menschen arbeiten in der Branche. Schwerpunkt der Produktion sind Petrochemikalien, Kunststoffe, Arznei- und Reinigungsmittel, Kosmetik und Parfum. 

Ein Pluspunkt Spaniens sind die günstigen Arbeitskosten. Die Arbeitsstunde eines Chemiemitarbeiters kostete zwischen Katalonien und Andalusien 2022 knapp 32 Euro. Deutsche Chemiearbeitgeber hingegen mussten mit 62 Euro fast doppelt so viel hinlegen. Eingerechnet sind Lohn, Sozialbeiträge, Urlaubsgeld und Sonderzahlungen.

Hinzu kommt jetzt grüne Energie. „In Zukunft wird die spanische Chemie auf Gebieten wie Biokraftstoffe oder Wasserstoff punkten. Da bahnt sich ein Investitionsboom an“, prognostiziert GTAI-Experte Idem. Denn Sonne und Wind hat die iberische Halbinsel im Übermaß. Etwa 3.000 Stunden im Jahr scheint die Sonne, hierzulande sind es nur 1.600 Stunden. Das macht Solarstrom in Spanien sehr günstig. Zudem gibt es viele ungenutzte Flächen, auf denen sich Solarparks errichten lassen. Beste Voraussetzungen also, um verstärkt auf erneuerbare Energie zu setzen und die Industrie klimaschonender zu machen.

Wasserstoff-Produktion: Massive Investitionen unterschiedlicher Firmen

„Spanien will seine Photovoltaik-Kapazitäten bis 2030 auf 76 Gigawatt verdreifachen“, sagt Idem. Der Ökostrom soll auch dazu dienen, aus Wasser per Elektrolyse Wasserstoff zu gewinnen, sogenannten grünen Wasserstoff. Vier Gigawatt Erzeugungskapazität strebe Madrid bis 2030 an. Experten halten Idem zufolge das Drei- bis Vierfache für erreichbar.

Im ganzen Land gibt es Wasserstoff-Projekte. „Allein der Mineralölkonzern Cepsa will drei Milliarden Euro in eine Wasserstoff-Produktion in Andalusien investieren“, berichtet Idem. Den wolle er in seinen Raffinerien nutzen, aber auch per Schiff exportieren. Zum Beispiel in die Niederlande, nach Deutschland oder Italien. Gemeinsam mit dem Mineralölkonzern Repsol will Cepsa zudem Biokraftstoffe für Fluggesellschaften produzieren. 

Große Pläne hat auch die dänische Reederei Maersk. Sie will zehn Milliarden Euro in Spanien investieren, um eine Wertschöpfungskette für Methanol hochzuziehen, mit dem sie ihre Container-Schiffe betreiben will.

Auf Ökostrom setzt ebenfalls das Firmenkonsortium FertigHy, hinter dem unter anderem die Investmentgruppe EIT InnoEnergy und Siemens Financial Services stehen. FertigHy will im nächsten Jahr mit dem Bau einer Großanlage für CO2-armen Dünger starten. Das Unternehmen Ignis will grünen Ammoniak produzieren und exportieren. Womöglich nach Deutschland, wo die Ammoniak-Erzeugung wegen des teuren Erdgases seit 2021 um fast ein Drittel eingebrochen ist.

Andere Sparten setzen ebenfalls auf den Grünstrom. So wird der saudi-arabische Chemiekonzern Sabic in Cartagena bald erstmals eine Kunststoffproduktion vollständig mit Sonnenstrom betreiben. 263.000 Solarmodule wurden dazu auf dem Werksgelände installiert. 

Firmen aus Rheinland-Pfalz investieren in spanische Standorte

„Auch die Chemische Fabrik Budenheim installiert Solarpaneele an ihren Standorten“, berichtet Idem. Derzeit decken die den Energiebedarf nur zum Teil ab, je nach Standort zu 25, 30 oder 43 Prozent. In El Puig und Llíria nahe Valencia werden unter anderem Lebensmittelzutaten hergestellt, weiter nördlich in La Zaida liegt der Fokus auf Materialwissenschaft.

Neben Unternehmen wie Renolit aus Worms und Zschimmer & Schwarz aus Lahnstein sind auch die Branchengrößen Bayer, Covestro, Henkel und BASF dort aktiv. Der Chemiekonzern aus Ludwigshafen hat landesweit mehrere Standorte und beschäftigt mehr als 2000 Menschen. Letztes Jahr eröffnete er ein Technologiezentrum in Marchamalo in Zentralspanien. Dort werden die Lackierverfahren sämtlicher Fahrzeughersteller getestet. Das Zentrum bietet Service für mehr als 100 Autofabriken in Europa, dem Nahen Osten, Afrika und Asien. 

VCI fordert wettbewerbsfähige Energiepreise

Während erneuerbare Energien der spanischen Chemie gerade richtig Schub verleihen, hat sich die deutsche Branche noch nicht von den Auswirkungen des Energiepreisschocks durch den Ukraine-Krieg erholt. Teure Energie bleibt laut dem Chemieverband VCI ein „erheblicher Kostenfaktor“ für die Betriebe. Noch immer sehen 45 Prozent der Unternehmen ihre Geschäfte dadurch „erheblich belastet“.

Der VCI fordert deshalb „wettbewerbsfähige Energiepreise durch Entlastungen bei der Stromsteuer und den Netzentgelten“ und eine Senkung der Unternehmens- und Körperschaftssteuer. Wichtig seien zudem Investitionen in Infrastruktur und Ausbau der Stromnetze. 

Und es brauche weniger Bürokratie. 70 Prozent der Unternehmen fühlten sich durch regulatorische Anforderungen „massiv behindert“. Verbandspräsident Markus Steilemann: „In allen Punkten kann und muss politisch gegengesteuert werden.“ Wenn das gelingt, wird auch wieder mehr Wachstum möglich sein.

  • Like
  • PDF

Schlagworte

Das könnte Sie auch interessieren

Newsletter