Sollten noch viel mehr Beschäftigte als bisher in Deutschland per Shutdown nach Hause geschickt werden? So groß die Herausforderungen der Corona-Pandemie sind - dieser politische Vorstoß aus einigen Landesregierungen und Parteien führt mit Blick auf die chemische und pharmazeutische Industrie in die falsche Richtung. Denn wer sollte dann beispielsweise Impfstoffe, lebensnotwendige Medikamente, Schutzmasken, Corona-Tests, Reinigungs- oder Desinfektionsmittel herstellen? Im Homeoffice geht das jedenfalls nicht.
Es gibt zahllose weitere Gründe, warum ein verschärfter Lockdown für die Branche verfehlt wäre. Auf zwei Kernaspekte weisen der Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC) und der Verband der Chemischen Industrie (VCI) hin:
Umfassende Hygienekonzepte in den Unternehmen
Die Chemie- und Pharmaunternehmen haben die Betriebe zu einem sicheren Ort in der Pandemie gemacht. "Sie tun alles, um ihre Mitarbeiter und deren Familien zu schützen und um mitzuhelfen, das Infektionsrisiko einzugrenzen", betont der Hauptgeschäftsführer des VCI, Wolfgang Große Entrup. Einige Beispiele:
- Die ohnehin schon hohen Standards im Gesundheitsschutz wurden in den vergangenen Monaten weiter erhöht und werden laufend optimiert.
- Die Branche hat zum Beispiel umfassende Hygienekonzepte eingeführt und die Möglichkeit für 12-Stunden-Schichtsysteme geschaffen. Diese zeitweise Ausdehnung der täglichen Arbeitszeiten soll helfen, Arbeitswege einzusparen und innerbetriebliche Kontakte zu verringern.
- In den Büros werden Teams zeitlich und räumlich getrennt.
- Mitarbeiter werden bereits - wo immer möglich - ins Homeoffice geschickt, Dienstreisen auf das unbedingt notwendige Maß beschränkt.
- Pausenzeiten wurden versetzt angelegt.
- Interne und externe Besprechungen werden online durchgeführt.
- Der Geschäftsbetrieb ist so organisiert, dass die Ansteckungsgefahr am Arbeitsplatz auf ein Minimum schrumpft.
- Eigene Schnelltests (PCR und Antigen-Tests) in den Betrieben ermöglichen es, ein mögliches Ausbreitungsgeschehen sehr zeitnah zu verfolgen und zu beherrschen.
Kein Wunder also, dass auch aktuelle Veröffentlichungen des Robert-Koch-Instituts belegen: Der Arbeitsplatz gehört zu den Lebensbereichen mit einem besonders niedrigen Infektionsrisiko.
Wirtschaftliche Folgen eines verschärften Lockdowns
Ohne Lieferungen aus der Chemie stünde die gesamte Industrie still - und damit knapp 30 Prozent unserer Volkswirtschaft. "Wer mitten in der härtesten Krise der letzten Jahrzehnte die Wirtschaft abschalten will, muss erklären, wie das Geld für die zahlreichen Hilfsmaßnahmen erwirtschaftet werden soll", betont BAVC-Hauptgeschäftsführer Klaus-Peter Stiller.
Fest steht, dass die Industrieproduktion weiterlaufen muss. Ein Blick in einige Nachbarländer zeigt, dass ein strengerer Lockdown des öffentlichen Lebens bei gleichzeitiger Fortführung der industriellen Aktivitäten erfolgreich sein kann.
Eine noch stärkere Verlagerung der Arbeit ins Homeoffice stößt auch an technische Grenzen: Die notwendige Bandbreite der Internetverbindung steht in vielen Haushalten nicht zur Verfügung, etwa wenn mehrere Kinder auf Distanz lernen und beide Elternteile im Homeoffice arbeiten. Bundesweit ist die technische Infrastruktur immer noch lückenhaft, schnelle Internetanschlüsse fehlen.
Die Lockdown-Diskussion kennt nur noch eine Richtung: Verschärfen und verlängern. Das kritisiert auch Hubertus Bardt, Geschäftsführer und Leiter Wissenschaft des Instituts der deutschen Wirtschaft: "Es kann nicht darum gehen, den Lockdown möglichst scharf zu machen, ohne auf die negativen Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft zu achten. Wichtig ist, genau hinzuschauen und dort, wo Risiken besonders hoch sind - wie in Alten- und Pflegeheimen - besondere Schutzkonzepte zu machen. Das ist aber nicht flächendeckend passiert." Auch beim Impfen bleibt die Politik gefordert, betont Bardt: "Jeder Tag, der gewonnen wird, verbessert die Lage. Hier darf nicht an der falschen Stelle gespart werden. Die Kosten der Verzögerung sind zu hoch: Arbeitsplätze gehen verloren, Existenzen werden zerstört."