Mobiles Arbeiten hat in Zeiten der Pandemie einen enormen Auftrieb erfahren: Mitte Februar 2021 arbeitete fast die Hälfte (49 Prozent) aller abhängig Beschäftigten in Deutschland zumindest stundenweise von zu Hause aus. Gut ein Drittel (34 Prozent) war sogar überwiegend oder ausschließlich im Homeoffice tätig. Das zeigt die jüngste Befragung des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) für das Bundesarbeitsministerium. Trotzdem wird weiter über verschärfte Homeoffice-Vorschriften debattiert, Politiker haben die Arbeitgeber zuletzt nachdrücklich dazu aufgefordert, Angestellten noch stärker als bisher das Arbeiten von zu Hause zu ermöglichen. Wie sehen das die Chemie-Sozialpartner?
IG BCE: Eine staatliche Homeoffice-Pflicht ist „nicht praktikabel umsetzbar“
Rechtlich gesehen sind die Arbeitgeber aktuell dazu verpflichtet, die Arbeit von zu Hause aus überall dort anzubieten, wo es die Tätigkeit zulässt. Im Gegenzug müssen die Arbeitnehmer auch von zu Hause aus arbeiten. Diese Corona-Arbeitsschutzregelungen gelten vorläufig bis zum 30. Juni 2021. Solche Zwänge lehnen die Sozialpartner aus gutem Grund ab. Ihr Argument: Eine staatliche Homeoffice-Pflicht sei „nicht praktikabel umsetzbar“, unterstreicht Michael Vassiliadis, Chef der Industrie-Gewerkschaft IG BCE. Es würden „zu viele Ausnahmetatbestände formuliert“. In vielen Bereichen sei die Arbeit von zu Hause schlicht nicht möglich.
Dem können die Arbeitgeber nur zustimmen: „Die Unternehmen unserer Branche haben die Betriebe zu einem sicheren Ort in der Pandemie gemacht“, erklärt Klaus-Peter Stiller, Hauptgeschäftsführer des Bundesarbeitgeberverbands Chemie (BAVC) in Wiesbaden. „Wir haben unsere ohnehin schon hohen Standards im Gesundheitsschutz weiter erhöht und kontinuierlich optimiert. Aber trotzdem wird es nicht gelingen, industrielle Produktion künftig von zu Hause zu erledigen. Statt über den Unsinn eines Homeoffice-Zwangs zu diskutieren, sollte der Staat dafür sorgen, dass auch seine Beschäftigten die Möglichkeit haben, von zu Hause zu arbeiten!“, betont er.
Beim Chemiekonzern BASF in Ludwigshafen gilt in der Pandemie das Prinzip: Mitarbeiter, deren Tätigkeiten es hergeben, arbeiten ausschließlich von zu Hause. Von 39.000 Beschäftigten am Standort sind das rund 11.000. Für die Zukunft arbeitet der Konzern derzeit an einer Art Hybridmodell, bei dem die Kollegen teilweise vor Ort und teilweise virtuell zusammenkommen – bewusst ohne Vorgabe starrer oder global gültiger Regeln. Viele Tätigkeiten, beispielsweise in Produktion und Technik sowie in der Forschung, sind mobil aber nicht durchführbar.
Die Mehrheit der Belegschaft begrüßt eine flexible Arbeitszeitgestaltung
Auch in anderen Unternehmen schreitet das mobile Arbeiten ohne staatlichen Zwang enorm voran – was die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtert. Etwa bei Solvay: Dort arbeiten seit März 2020 rund 40 Prozent aller Mitarbeiter weltweit von zu Hause aus. Eine firmeneigene Umfrage unter 10.000 Beschäftigten im Homeoffice zeigt: Die Mehrheit begrüßt eine flexiblere Arbeitszeitgestaltung, die zusätzliche Zeit mit der Familie sowie den Wegfall des Pendelns. Die Befragten gaben zudem an, sie seien zu Hause „produktiver“. Nun soll das „mobile Arbeiten“ zu einem festen Bestandteil werden: Das Chemieunternehmen, dessen Standort in Bad Hönningen vor Kurzem übernommen wurde („Kandelium“), will die Arbeitsplätze neu gestalten und für Teams Orte schaffen, an denen sie sich austauschen können.