Da ist eine Menge Ungewissheit: Wie geht es trotz Corona weiter in der Chemie- und Pharmaindustrie? Ist die Branche über den Tiefpunkt hinweg? Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) machte bei der Vorstellung der Halbjahreszahlen kürzlich Mut: „Wir sehen erste Anzeichen einer Erholung“, sagte Präsident Christian Kullmann, der Chef des Essener Chemiekonzerns Evonik. Seine Prognose: „Wenn ein erneuter Shutdown vermieden werden kann, dürfte sich die Nachfrage nach Chemikalien und Pharmazeutika im zweiten Halbjahr stabilisieren.“
Aber bis das Vorkrisenniveau erreicht ist, ist es noch ein weiter Weg. Denn das erste Halbjahr war nicht gut für die Branche: 2,5 Prozent weniger Produktion, 6 Prozent weniger Umsatz, 70.000 Beschäftigte in Kurzarbeit. Damit schneidet die Chemie in der Krise allerdings besser ab als andere Branchen. Zudem hält sie die hohe Beschäftigung mit 464.000 Mitarbeitern stabil.
Der Standort Deutschland brauche „einen neuen Aufbruch“, fordert Kullmann. Investieren, forschen, umdenken, Neues wagen. In Rheinland-Pfalz packen Chemieunternehmen das beherzt an. Sie gehen neue Märkte an, investieren in Anlagen, entwickeln Innovationen.
Virtueller Auftritt bei Fachmesse für Kunststoffverarbeitung
Der Chemiekonzern BASF etwa will im Werk Ludwigshafen bis 2025 durchschnittlich mindestens 1,5 Milliarden Euro pro Jahr investieren. Das sieht die neue Standortvereinbarung vor. Für die Elektromobilität treibt der Konzern eine Fabrik für Batteriematerialien in Schwarzheide (Brandenburg) voran. Zugleich agiert er verstärkt digital: Bei der Fachmesse für Kunststoffverarbeitung, der Fakuma, präsentiert sich die BASF mit einem virtuellen Messeauftritt. Erstmals findet die Messe nicht live in Friedrichshafen am Bodensee statt, sondern im Internet. Ob 3-D-Druck, E-Mobilität oder Nachhaltigkeit – die BASF informiert mit über 20 Online-Themenständen sowie 15 Vorträgen plus anschließendem Expertenchat über ihre Neuheiten.
Der Chemiespezialist Budenheim investiert 80 Millionen Euro in ein neues Produktionsgebäude, das im April 2022 in Betrieb gehen soll. Mit modernster Fertigungstechnik will das Unternehmen zum Beispiel Mineralstoffe zur Anreicherung von Nahrungsmitteln herstellen und sich so neue Absatzpotenziale erschließen, sagt André Seemann, Bauherr und Mitglied der Standortleitung: „Wir werden Budenheim als Life-Science-Standort, also als Lieferant für die Lebensmittel- und Pharmaindustrie, global etablieren.“ Dazu passt, dass seine Forscher winzige Kügelchen als neuartigen Träger für Arzneiwirkstoffe entwickelt haben. Vorteil: Damit lassen sich Wirkstoffe in Kapseln und Tabletten eine bestimmte Zeit lang konstant im Körper freisetzen.
Eine große Investition plant das Unternehmen Röhm. Der Hersteller von Acrylglas (Marke Plexiglas) will für eine dreistellige Millionensumme eine neue Produktionsanlage errichten. Finanzchef Martin Krämer: „Wir haben ein neues Verfahren entwickelt, das die Herstellung von Methacrylat-Monomeren, den Bausteinen von Plexiglas, deutlich energieeffizienter macht.“ Neues Geschäft erhofft sich das Unternehmen von der E-Mobilität: Bei Elektroautos wie dem VW ID3 kann etwa dort Acrylglas verbaut werden, wo bei Verbrenner-Pkw der Kühlergrill sitzt.
Neues Zentrallager verbessert die Lieferfähigkeit
Neue Perspektiven sucht auch die Firma Südwest Lacke + Farben. In Böhl-Iggelheim feierte man kürzlich Richtfest. Für 10 Millionen Euro entsteht dort ein nagelneues Logistikzentrum. Mit 3.200 Quadratmeter Fläche, 4.000 Palettenplätzen, einer Kantine sowie Sozial- und Besprechungsräumen. Geschäftsführer Hans-Jörg Rhade sagt: „Das zentrale Lager verbessert unsere Lieferfähigkeit durch effizientere Abläufe deutlich.“ Hohe Stückzahlen werden sich schneller abwickeln lassen. In weiteren Schritten will der Mittelständler die Produktion modernisieren und ausbauen.
Einen Zukauf packte in der Krise die Profine-Gruppe an, der Hersteller von Kunststoffprofilen für Fenster und Türen. Das Unternehmen übernahm in Großbritannien Maschinen, Mitarbeiter und Marken der Aperture Group. Über 20 Extrusionslinien, mehrere Folierungs- und Spritzgussanlagen und eine Mischerei wechselten den Besitzer; die Belegschaft soll auf über 100 Mitarbeiter ausgebaut werden. Der geschäftsführende Gesellschafter Peter Mrosik sagt: „Damit stärken wir unsere gute internationale Marktposition. Wir wollen in jedem unserer Märkte das führende Unternehmen der Branche sein.“
Eine robuste Folie schützt Windradtürme vor Rost
Auf neues Terrain wagt sich der Wormser Folienhersteller Renolit. Kürzlich hat er bei Köln erstmals die Türme zweier Windanlagen mit einer neuen Schutzfolie ausgestattet, die seine Forscher entwickelt haben. „Korrosion ist ein großes Thema im Bereich der Windenergie“, sagt Ralph Gut, General Manager bei Renolit. „Wir bieten jetzt bis zu zehn Jahre Langzeitschutz.“ Die robuste Folie verringert Wartungsaufwand und -kosten, steigert die Effizienz der Anlagen und reduziert Stillstandzeiten.
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