Der aktuelle Altersschnitt in deutschen Betrieben liegt bei 44 Jahren. Das hat das Statistische Bundesamt kürzlich ermittelt. Besonders alt ist das vielleicht nicht. Aber 1991 betrug der Wert nur 38,8 Jahre. Im Arbeitsalltag heißt das rein statistisch: Tritt ein 16-jähriger Azubi in ein Unternehmen ein, kommen auf ihn bereits zwei 60-Jährige. Wie die Gesellschaft und die Wirtschaft mit diesem Generationenproblem umgehen sollten, weiß Rudolf Kast, Chef des Firmenzusammenschlusses Demografie-Netzwerk.
Bricht jetzt die Zeit der alten Hasen im Betrieb an?
Sie meinen Kollegen, die ihren 50. Geburtstag bereits gefeiert haben? Wir nennen sie „Professionals“, denn sie sind wichtige Mitarbeiter eines jeden Unternehmens. Sie haben viele Jahre Berufserfahrung, sind loyal gegenüber ihrer Firma und souverän in Kundengesprächen. Niemand kann auf sie verzichten: Wir verlieren rund 6,1 Millionen Fachkräfte bis 2030 aus der Regelbeschäftigung in die Rente. Die Anzahl der Menschen ab 67 Jahren wird bis 2040 auf mindestens 21 Millionen steigen. Auf deren Potenziale zu verzichten, wäre für die Gesellschaft ein großer Verlust. Das können wir uns nicht leisten.
Müssen Firmen die Älteren länger im Job halten?
Unbedingt. Zunehmend erkennen die Betriebe das Demografieproblem der älter werdenden Belegschaft und des fehlenden Fachkräftenachwuchses. Jetzt ergreifen sie Gegenmaßnahmen, zum Beispiel durch Gesundheitsmanagement, wertschätzende Behandlung, den Aufbau neuer Führungsqualitäten und natürlich laufende Fortbildung, um auf dem notwendigen Wissensstand zu sein. Das bedeutet natürlich Investitionen.
Lernen die Professionals denn noch etwas in ihrem reifen Alter?
Selbstverständlich. Ich selbst bin 66 Jahre alt, fühle mich fit und auf dem Höchststand meines Wissens. Aus der Forschung weiß man, dass Lernen zu 70 Prozent über das Tun erfolgt, also die tägliche Arbeit und Unterweisung im Job. 20 Prozent lernen wir übers Coaching und Mentoring, das eine immer größere Rolle spielt. Also Senior coacht Junior. Das geht aber auch andersherum, dann wird der Junior zum Lehrer. Der Fachbegriff dafür heißt Reverse Mentoring, da lernen ältere Kollegen von jüngeren, zum Beispiel von jungen Azubis oder Spezialisten. Davon profitieren beide Seiten. Die letzten 10 Prozent lernen wir in strukturierten Settings wie Seminaren.
Aber manche Firmen beziehen die Generation Ü 50 nicht mehr ein.
Ja, das ist ein ungeheurer Fehler. Ältere Kollegen sind für viele Unternehmen enorm wichtig. Auch wenn sie körperlich weniger belastbar sind und ihre Ausbildung lange zurückliegt, müssen sich die Firmen Gedanken machen, wie sie ältere Kollegen länger im Betrieb halten – oder sogar neu anlocken. Wenn etwa keine Mitarbeitergespräche mit ihnen mehr stattfinden oder Fortbildungen ohne ältere Kollegen laufen, fühlen diese sich nicht wertgeschätzt und abgeschrieben. Woher soll die Motivation für die Arbeit kommen? Dann gehen sie so schnell wie möglich in den Ruhestand. Das kann sich kein Betrieb mehr leisten. Menschen jedes Alters haben die Fähigkeit, weiterzulernen, wenn ihnen die Begeisterung zum Lernen vermittelt werden kann und wir insbesondere Erfahrungswissen weiter fördern.
Es muss also ein Umdenken stattfinden?
Definitiv. In den Firmen wie in der Gesellschaft und der Politik. Hier wurden die falschen Signale gesendet, man denke nur an die Rente mit 63 Jahren. Sollen die fitten Alten jetzt den Garten umgraben oder nur noch ehrenamtlich für Vereine tätig sein? Es ist doch eine Freude, festzustellen, dass unsere Gesellschaft älter wird und wir alle länger leben. Es gibt eine Verschiebung der körperlichen, der mentalen und der geistigen Alternsfähigkeit, wir bleiben gut zehn Jahre länger fit. Es sollte eine Lust am Älterwerden geben und an der Arbeit an sich. Die Freisetzung älterer Kollegen durch Altersteilzeitprogramme – eine solche Unternehmenspolitik müsste man gesellschaftlich ächten.
Aber was ist mit den Unterschieden zwischen den Generationen?
Klar, es ist eine große Herausforderung für Unternehmen, die völlig unterschiedlichen Lebenswerte von 17- und 70-Jährigen zusammenzubringen. Man denke allein an die unterschiedliche Sozialisation. Das ist für Führungskräfte wirklich schwierig: Wer in den 60er Jahren sozialisiert worden ist, hat völlig andere gesellschaftliche Umwälzungen erlebt als jemand, der zwischen 1994 und 2000 groß geworden ist. Heute haben wir bis zu fünf Generationen in einem Unternehmen. Das kann aber auch eine Chance sein – wenn sie voneinander lernen. Wichtig ist, dass man alle Altersgruppen im Betrieb wertschätzt.
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