„Enttäuschte Erwartungen“ lautete das Motto, unter das Bernd Vogler, Hauptgeschäftsführer der Chemieverbände in Rheinland-Pfalz, die Jahrespressekonferenz seines Verbandes gestellt hatte. Und er sprach damit gleich zwei Aspekte an, die zwar nicht für Alarm bei den Chemieunternehmen in Rheinland-Pfalz, aber dennoch für Pessimismus sorgen: Die Erwartungen der Branche wurden einerseits enttäuscht, weil die rheinland-pfälzischen Chemieunternehmen nach dem Rekordjahr 2017 auch für 2018 auf wachsende Umsätze und Gewinne gehofft hatten. Enttäuschte Erwartungen andererseits, weil Vogler – und damit auch der Chemieindustrie – deutliche Signale von der Bundesregierung fehlen, die man vielleicht nicht erwartet, aber zumindest erwünscht hatte. Und die es dringend bräuchte.
Die Stimmung in der Branche ist gekippt
Vogler machte in der Jahrespressekonferenz auf den Stimmungswandel in der rheinland-pfälzischen Chemiebranche aufmerksam. Es bestehe kein Grund zur Panik, die Zahlen stimmten noch, aber die Stimmung in der Branche habe sich innerhalb kürzester Zeit gewandelt. Drastisch und so, wie selbst Vogler es noch nicht oft gesehen hat: Waren im Mai 2018 in einer Umfrage noch sechs von zehn Chemieunternehmen positiv gestimmt, ist dieses Verhältnis seit August 2018 dramatisch gekippt. In einer zweiten Umfrage im Herbst 2018 rechnen sieben von zehn Unternehmen mit sinkenden Gewinnen, sechs von zehn Unternehmen gehen auch für 2019 von keiner Verbesserung aus. Ähnlich pessimistisch sind die Ergebnisse des ifo-Geschäftsklima-Index für die Chemiebranche.
Wie konnte die Stimmung einer ganzen Branche so kurzfristig und vor allem so dramatisch kippen? Globale politische und wirtschaftliche Probleme wie der Brexit, der Handelskrieg zwischen den USA und China sowie steigende Rohstoffkosten waren als abstrakte Gefahren bekannt, hatten die Stimmung aber keineswegs getrübt. Zu den globalen Bedrohungen kam im Spätsommer 2018 ein (über-)regionales Ereignis, das der Auslöser des Stimmungswandels gewesen sein könnte: Die Lebensader der rheinland-pfälzischen Chemiebranche, der Rhein, trocknet aus – und führt den Unternehmen überdeutlich vor Augen, wie abhängig sie von ihrem wichtigsten Transportweg ist.
Rheinpegel niedrig, Gewinne und Impulse bleiben aus
Niedrigwasser im Rhein bedeutet schlechtere Versorgung mit Rohstoffen und weniger Abtransport fertiger chemischer Erzeugnisse, was zu einer verminderten Produktion und geringeren Gewinnen führt. Und diese Auswirkungen sind direkt spürbar. Lange hat die Landespolitik es versäumt, für eine moderne Infrastruktur, notwendige Transportwege und Alternativen zur Versorgungsader Rhein zu sorgen. „Dieser Knoten ist auf Landesebene nun geplatzt“, sagte Vogler unter Verweis darauf, dass die Rheinvertiefung um zwölf Zentimeter auf Höhe der Loreley von Wirtschaftsminister Volker Wissing und drei weiteren Landesministern befürwortet und vorangetrieben wird. Nur fehlt auch hier, wie bei vielen anderen Themen, der letzte und entscheidende Beitrag aus der Bundespolitik.
Der Hauptgrund für den Pessimismus in der Branche sind jedoch die ausbleibenden Gewinne der Chemieunternehmen. Prognosen und die Stimmung einer Branche haben viel mit Psychologie zu tun. Solange alles gut war und ist, ist die Stimmung entsprechend. Bleiben allerdings die Gewinne aus, spüren die Unternehmen dies und die Stimmung kann kippen – und das sehr schnell. Das ist nun passiert, sollte aber kein Grund zu übertriebener Besorgnis sein. Die Chemiebranche in Rheinland-Pfalz hat kein Strukturproblem, auch Arbeitsplätze sind nicht bedroht.
Politische Unterstützung nötig
Ein starker Impuls für die Industrie müsse her und kein Klein-klein, forderte Vogler mehrmals. Und er hat recht. Die Rheinvertiefung ist nur ein – für sich genommen unzureichender – Therapie-Bestandteil, um die Sorgen der Branche zu lindern. Für eine nachhaltige Genesung braucht es eine Wirkstoffkombination aus der dringend benötigten Forschungsförderung, einem zukunftsträchtigen Ansatz bei den Mobilfunklizenzen der nächsten Generation (5G) sowie dem Ausbau der Verkehrs- und Transportwege.
Hierfür benötigt die Chemiebranche politische Signale. Oder noch besser konkrete Entscheidungen, die eher gestern als morgen getroffen werden müssen. Neue Transportwege und -mittel müssen ausgebaut oder entwickelt werden, eine Aufgabe, die allein Jahre in Anspruch nehmen wird. Dabei wäre kein Tag mehr zu verschenken. Denn bei aller Unsicherheit über die globalen Folgen von Brexit, Handelskrieg und Co. ist zumindest regional eines sicher: Die nächste Trockenphase kommt bestimmt. Mit all ihren Folgen für den Rhein und die Firmen, die er versorgt.