Weniger Todesopfer, weniger schwere Infektionen: Noch bevor der Winter zu Ende geht, hat die Corona-Pandemie an Wucht verloren. Bleibt das so? Wir haben nachgefragt bei Annette Wahl-Wachendorf, Vizepräsidentin des Verbands Deutscher Betriebs- und Werksärzte.
Karneval – sind Sie dabei?
Ich bin keine große Karnevalistin. Aber ich freue mich mit allen, die klasse feiern.
Corona ist also vorbei?
Das nicht. Aber ich gehe davon aus, dass wir in eine endemische Situation übergehen – dass es zwar eine dauerhafte, aber kontrollierbare Entwicklung gibt, wie wir es von anderen Infektionskrankheiten kennen. Allerdings muss man die Situation weiter beobachten. Das gilt gerade auch mit Blick auf China, wo eine hoch infektiöse Variante grassiert. Sehr ansteckend ist zwar auch Omikron in Deutschland. Hier jedoch ist die Bevölkerung zum großen Teil gut immunisiert. Daher gibt es bei uns auch keine auffallend hohen Zahlen an schweren Krankheitsverläufen oder hohen Todesfällen mehr. Da haben wir in vergleichsweise kurzer Zeit – seit Ausbruch der Pandemie – sehr viel erreicht, das ist schon sensationell.
Entspannung auch in den Betrieben?
Dass die Unternehmen flächendeckend auf die Betriebsärzte wegen Corona zukommen und nach Rat und Unterstützung fragen – diese Zeiten sind vorbei. Am ehesten geht es jetzt um das Thema Long Covid, um Angebote zur Beratung und Unterstützung betroffener Mitarbeiter. Am Anfang kann da etwa ein Informationsgespräch mit dem Betriebsarzt stehen, in dem geklärt wird, ob überhaupt Long Covid vorliegt. Vielen Beschäftigten können so schon Sorgen genommen werden. In konkreteren Verdachtsfällen werden dann zunächst weiterführende Tests gemacht – etwa zur Lungenfunktion –, bevor es dann zu konkreteren Hilfestellungen kommt.
Und das vermehrte Homeoffice – haben jetzt mehr Menschen Rücken?
Muskel- und Skelettbeschwerden haben klar zugenommen. Das kann verschiedene Gründe haben – etwa, weil man sich im Homeoffice zu wenig bewegt oder weil viele Sportangebote wegen Corona entfallen sind. Was uns Betriebsärzte betrifft: Arbeitsplätze im Unternehmen können wir uns unter arbeitsmedizinischen Aspekten genau anschauen. Im Homeoffice ist das anders. Allerdings ist zurzeit beim Bundesarbeitsministerium ein Papier in Arbeit, in dem es unter anderem darum geht, was mit Blick aufs Homeoffice aus arbeitsmedizinischer Sicht zu beachten ist und wie der Arbeitgeber unterstützen kann.
Ein anderes Thema – die längere Lebensarbeitszeit: eine gute Idee aus Ihrer Sicht?
Grundsätzlich ja. Es gibt keine Erkenntnisse darüber, dass die Gesundheit mit Mitte 60 schlagartig schlechter wird. Bei körperlich schweren Tätigkeiten und solchen, die hoch konzentriertes Arbeiten erfordern – da muss man jedoch regelmäßig genauer hinsehen. Grundsätzlich gibt es heute aber weniger körperlich anstrengende Arbeiten als noch vor 30 Jahren. Das befähigt uns, länger zu arbeiten. Andererseits: Weil wir mehr sitzen und uns weniger bewegen, sind Übergewicht, Bluthochdruck oder Diabetes viel stärker verbreitet.
Da ist Arbeitsmedizin verstärkt gefordert?
Ja, denn ob Großunternehmen oder Zwei-Mann-Betrieb: Sie alle werden betriebsärztlich betreut – durch Werksärzte, betriebsärztliche Dienste und freie Betriebsärzte. Diese können viel erreichen, wenn es um die Gesundheit und Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter geht. Und das nutzt letztlich allen: Man selbst bleibt länger fit – und die Betriebe sowie unsere gesamte Gesellschaft profitieren nicht zuletzt im Kampf gegen den Fachkräftemangel, der sich noch verschärft.