Ende Januar 2020 ist das Corona-Virus für die meisten Bundesbürger noch irgendein kleines Problem im fernen Asien. Doch dann überspringt der Erreger Covid-19 so schnell wie unbemerkt alle Landesgrenzen und unterzieht unser Leben einem Härtetest – beruflich wie privat.
Binnen weniger Wochen würgt die Pandemie das Wirtschaftswachstum ab, viele Chemiebetriebe müssen Kurzarbeit anmelden: Im Mai sind 90.000 Beschäftigte oder gut 15 Prozent der Branche betroffen, verkündet der Bundesarbeitgeberverband Chemie. Vor allem Autozulieferer müssen die Produktion runterfahren oder Projekte stoppen. Aber auch den Bau einer Hydrieranlage von Haltermann Carless in Speyer legt die Pandemie sechs Monate lang lahm.
Überstunden, Rohstoff-Engpass – riesige Nachfrage nach Hygienemitteln und Plexiglas
Das bedeutet aber im Umkehrschluss: Mehr als vier Fünftel der Beschäftigten arbeiteten im Mai wie gewohnt – oder leisteten mehr als je zuvor. Denn als Vorlieferant für Medikamente, Diagnostika, Reinigungs- und Desinfektionsmittel sind viele Firmen systemrelevant:
- Bei der BASF etwa schießt die Nachfrage nach Handdesinfektionsmittel in die Höhe, gut eine Million Liter spendet der Chemiekonzern sofort weltweit.
- Bei Sebapharma in Boppard haben die Waschstücke Hochkonjunktur,
- bei Freudenberg sind es Atemschutzmasken. Die Produktion läuft rund um die Uhr, die benötigten hochtechnischen Vliesstoffe kommen aus dem Werk Kaiserslautern.
- Werner & Mertz in Mainz wird der Nachfrage nach Reinigungsmitteln kaum noch Herr, die Rohstoffbeschaffung wird zur enormen Herausforderung.
- Und auch Röhm kommt mit der Plexiglaslieferung nicht mehr hinterher: Die Bestellungen durchsichtiger Kunststoffplatten, die vor Tröpfcheninfektionen schützen, gehen durch die Decke, Supermärkte wie Apotheken wollen sie haben. Das Rohmaterial für die Scheiben liefert das Werk in Worms: „Der Absatz hat sich je nach Typ um das Fünf- bis Zehnfache erhöht“, sagt Geschäftsführer Michael Pack.
Überstunden sind für die Mitarbeiter in dieser Zeit selbstverständlich, ihre Arbeit ist das wichtigste Bollwerk im Kampf gegen die Pandemie. Im Schulterschluss bekennen sich die Chemiesozialpartner zu ihrer sozialen Verantwortung und zum Gesundheitsschutz in den Unternehmen. Schnell stellen sich die Betriebe auf veränderte Hygienekonzepte ein: „Schon im Januar gab es einen intensiven Austausch mit unserem Werk in Schanghai“, erzählt etwa Arbeitsmediziner Tobias Limbach, Leiter des Gesundheitsmanagements bei Röhm in Worms, „deswegen konnten wir sehr früh reagieren.“
Im Februar treten erste Verdachtsfälle in den Betrieben auf. Also ermöglichen die Unternehmen Homeoffice, wo es geht. Kleine wie große Sitzungen laufen zunehmend virtuell ab. So arbeitet bei der BASF bereits Mitte März rund die Hälfte der 40.000 Mitarbeiter am Stammsitz Ludwigshafen mobil oder von zu Hause aus. Die Zahl der Web-Meetings schießt in die Höhe: Waren es im Dezember 2019 noch 110.000 Sitzungen, sind es im April bereits 490.000. Man durchlaufe eine „steile Lernkurve mit digitalen Kommunikationsmedien“, bestätigt auch Michael Kundel, Chef des Wormser Folienherstellers Renolit.
Erstes deutsches Serum gegen das Corona-Virus kommt aus Rheinland-Pfalz
Natürlich läuft auch die Forschung bei Pharmaunternehmen wie AbbVie oder Boehringer Ingelheim auf Hochtouren. Schneller als je zuvor reagieren Pharmawirtschaft und Wissenschaft auf das Corona-Virus. Sie entwickeln Impfstoffe, erproben vorhandene Medikamente auf ihre Eignung, entwickeln neue Arzneimittel und unterstützen die Gesundheitssysteme schwer betroffener Länder. Inzwischen gehört das Mainzer Biotech-Unternehmen Biontech zu den aussichtsreichsten Kandidaten im Wettrennen um einen Impfstoff: Das Serum ist bereits seit Oktober im EU-Zulassungsprozess.