Die jahrelange Hängepartie ist vorbei. Am 31. Januar 2020 kommt der Brexit. Das britische Parlament hat dem Austrittsvertrag mit der EU zugestimmt. Vorausgegangen war ein deutlicher Wahlsieg von Premierminister Boris Johnson und seiner konservativen Partei. Jetzt macht Johnson Ernst.
Was heißt das für Unternehmen und Bürger? Gut ist: Ein harter, ungeregelter Brexit ist erst einmal abgewendet. Laut Austrittsvertrag bleibt zunächst alles, wie es ist. Die bisherigen Regeln gelten weiter. Es gibt keine Zölle und Zollkontrollen. Chemie- und Pharmafirmen müssen sich nicht umstellen. Und Reisende benötigen kein Visum.
Regeln gelten nur für eine Übergangszeit
Der Haken: Das gilt nur für eine Übergangsfrist. Bis Ende dieses Jahres haben Großbritannien und die EU nun Zeit, ein Freihandelsabkommen auszuhandeln. Eine mögliche Verlängerung der Frist bis 2022 schloss das Parlament in London aus. Da wartet also noch eine Herausforderung auf die Politik. Ein harter Brexit ist weiter möglich, so Clemens Fuest, Präsident des Münchner Ifo-Instituts: „Für Entwarnung ist es zu früh.“
Ein Rest Unsicherheit bleibt demnach für die Chemie- und Pharmaunternehmen, die über Töchter und Kunden stark mit der britischen Branche verflochten sind. Die Importe aus Großbritannien beliefen sich 2018 auf 5,9 Milliarden Euro, exportiert wurden Produkte für 10,2 Milliarden Euro. Doch seit 2015 sinken die Ausfuhren.
Wie sich Chemieunternehmen in Rheinland-Pfalz vorbereitet haben
Michael Kundel, Vorstandsvorsitzender des Folien-Herstellers Renolit in Worms, appelliert daher an die Politik: „Jetzt geht es darum, so zeitnah wie möglich Klarheit und Berechenbarkeit für Bürger und Wirtschaft zu schaffen.“ Weil ein harter Brexit noch nicht ausgeschlossen ist, laufen die Vorbereitungen weiter – etwa, indem man „auf beiden Seiten der Grenze“ größere Vorräte anlege.
Beim Tierarzneispezialisten MSD Animal Health (Schwabenheim) hat ein Team zum Beispiel die Lagerhaltung aufgestockt, Vertriebswege neu gestaltet, Test- und Freigabeprozesse aus Großbritannien in die EU verlagert. Der Pharmakonzern Boehringer Ingelheim hat sich „auf jedes denkbare Szenario“ vorbereitet, Lieferketten angepasst und zusätzliche Lagerflächen beschafft.
Gelassen bleibt Geschäftsführer Stephen Addison vom Katalysatorhersteller Grace in Worms: „Rund 5 Prozent unseres Umsatzes hängen vom Handel mit Großbritannien ab“, sagt er. Egal, wie der Brexit aussehe, „wir erwarten, dass die Geschäfte weiterlaufen“. Denn die Katalysatoren könne niemand auf der Insel herstellen.
Chemieverband VCI mahnt enge Partnerschaft an
Natürlich haben auch beim Chemiekonzern BASF Experten das ABC der Brexit-Vorbereitung durchgespielt, von A wie Anpassung der Systeme und Prozesse in Zoll und Logistik bis zu S wie Sichern ausreichender Lagerkapazität. Zugleich wirbt der Konzern mit Blick auf ein Freihandelsabkommen: „Reibungsloser, zollfreier Handel zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich, uneingeschränkte Mobilität von Fachkräften und regulatorische Konsistenz sind für die Wirtschaft von wesentlicher Bedeutung.“
Der Branchenverband VCI betont: „Aus wirtschaftlicher und geopolitischer Sicht ist eine enge Partnerschaft zwischen der EU und Großbritannien ein Muss.“ Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup ergänzt: „Um alle relevanten Aspekte der künftigen Beziehung rechtzeitig zu regeln, hilft jetzt nur volle Kraft voraus. Mini-Deals sind keine tragfähige Lösung.“ Aus Sicht der chemisch-pharmazeutischen Industrie und ihrer Kunden sei es enorm wichtig, wenn Briten und EU auch in Zukunft eng bei der Chemikalienregulierung zusammenarbeiten. Und: „Auch bei den neuen Themen des Green Deal dürfen die EU und das Vereinigte Königreich in Zukunft nicht mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten unterwegs sein.“
Welche Brexit-Folgen der Verband Forschender Arzneimittelhersteller erwartet: ein Kommentar.