„Unternehmen haben gerichtlich anerkannte Spielräume. Mit Augenmaß können sie auch übers Gesetz hinausgehen“
Michael Fuhlrott, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der Kanzlei FHM
Mit den kühleren Tagen verlagern sich viele Aktivitäten wieder nach drinnen. Damit dürfte auch das Infektionsgeschehen neue Dynamik erhalten. Das neue Infektionsschutzgesetz sieht unter anderem eine bundesweite Maskenpflicht im Nahverkehr und in Einrichtungen wie Krankenhäusern vor. Den Ländern will der Gesetzgeber darüber hinaus aber nur einen optionalen Maßnahmenkatalog zur Verfügung stellen, sodass erneut ein Flickenteppich droht.
Was die Politik damit begründet, regionale Infektionsgeschehen zu berücksichtigen, führt für viele Unternehmen zur Unsicherheit, ob sie auch über die regionalen Vorgaben hinausgehen könnten. Insbesondere Unternehmen mit im Bundesgebiet verteilten Standorten werden bundesweit einheitliche Hygienevorgaben und Arbeitsschutzstandards einführen, möglicherweise über die regionalen Vorgaben am Stammsitz hinaus.
Rechtlich ist dies im Grundsatz möglich. Die Vorgaben des Arbeitsschutzes sind nur Mindestvorgaben. Ein „Mehr“ ist zunächst zulässig – das hat das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil zur Testpflicht im Fall der Bayerischen Staatsoper Arbeitgebern erst kürzlich zugestanden. Auch die Einführung einer im Gesetz nicht vorgesehenen allgemeinen Maskenpflicht kann daher in den Betriebsräumen angeordnet werden.
Allerdings ist die Anordnungsbefugnis des Arbeitgebers nicht grenzenlos. Neben Beteiligungsrechten des Betriebsrats gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Auch das Tragen einer Maske ist ein, wenngleich kleiner, Eingriff in das Persönlichkeitsrecht. In vielen Fällen wird er sich zwar rechtfertigen lassen. Ein Blick auf das Infektionsgeschehen und die konkreten Infektionsgefahren am Arbeitsplatz ist dafür aber unerlässlich.
Arbeitgeber haben in der Pandemie aufgrund dynamischer Entwicklung und tatsächlicher Ungewissheiten Spielräume, das haben Gerichte festgestellt. Diese können sie nutzen. Aber eben nur mit Augenmaß.
„Wir müssen den Schutz der Mitarbeitenden und die Akzeptanz für eine Maskenpflicht durch gezielten Einsatz der Masken in Einklang bringen“
Doris Heinrichs, Betriebsärztin beim Unternehmen LTS
Der kommende Winter wird nach meiner Einschätzung wie der letzte sein. Die Maskenpflicht wird damit wieder Thema. Dass Masken guten Schutz bieten, haben wir in der Pandemie gelernt. Das Tragen einer gut sitzenden FFP2-Maske verringert die Ansteckungsgefahr auf ein Tausendstel, also nahe null. Selbst bei einer schlecht sitzenden FFP-2-Maske gehen wir von einem Ansteckungsrisiko von nur 4 Prozent aus, bei einer OP-Maske von 10 Prozent.
Deshalb ist neben Abstandhalten und Lüften die Maskenpflicht aus meiner Sicht auch im Betriebsalltag von LTS die vorrangige Maßnahme an vielen Arbeitsplätzen. Im Produktionsbereich und in den Laboren, wo Abstandsregeln nicht umsetzbar sind, macht das Maskentragen auf jeden Fall Sinn. In den Büros und Besprechungsräumen können wir darüber hinaus viel übers mobile Arbeiten, Abstandhalten durch reduzierte Belegungspläne und Lüften regeln. Begleitend rate ich allen Beschäftigten weiterhin zu einer Impfung gemäß der Empfehlung der Ständigen Impfkommission.
Natürlich ist die Akzeptanz fürs Maskentragen inzwischen ziemlich niedrig, es hat schlicht im dritten Pandemiejahr niemand mehr Lust darauf. Die Arbeitsschutzverordnung wird vermutlich so gestaltet werden, dass Betriebe die Verantwortung für eine Verpflichtung dazu selbst übernehmen müssen. Das können sie auch, und es ist gut, dass sie diese Freiheit haben. Die allermeisten werden eine Maskenpflicht im Betriebsalltag dort einführen, wo andere Maßnahmen nicht greifen. Denn keiner kann es sich leisten, wenn viele Beschäftigte gleichzeitig ausfallen.
Es wird zu prüfen sein, in welchen Bereichen eine FFP-2-Maske mit stärkerer Belastung der Mitarbeitenden erforderlich ist. Ich gehe davon aus, dass ein gut sitzender medizinischer Mund-Nasen-Schutz (OP-Maske) an den meisten Arbeitsplätzen ausreicht. Über den gezielten Einsatz und Feinabstimmungen im Betrieb können wir den Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Akzeptanz für die Maskenpflicht in Einklang bringen.