„Mit einem Tempolimit und weiteren einfachen Maßnahmen könnten wir die Abhängigkeit von Russlands Öl beim Sprit überwinden.“
Andreas Knie, Verkehrsforscher am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)
Fast alle anderen Staaten der Welt haben ein Tempolimit. Und zwar aus gutem Grund: Erstens optimiert es den Verkehrsfluss, denn wer langsamer fährt, braucht weniger Sicherheitsabstände. Zweitens gibt es mit einem Tempolimit deutlich weniger Unfälle. Und drittens schont es das Klima durch weniger Spritverbrauch. Das führt uns auch zum aktuellen Thema Ukraine-Krieg und der Abhängigkeit von Russlands Öl: Bei Diesel und Benzin macht der Anteil aus Russland immer noch rund ein Drittel aus.
Genau dieses Drittel könnten wir einsparen, wenn wir jetzt ein Tempolimit auf Deutschlands Autobahnen zusammen mit weiteren flächendeckenden Maßnahmen einführen, nämlich Tempo 30 in den Städten und einmal im Monat ein Fahrverbot für Autos. Zumindest theoretisch kämen wir so beim Sprit mit ganz einfachen Verhaltensänderungen aus der Abhängigkeit von Russland raus.
Auch unsere Infrastruktur würde profitieren. Unsere Brücken bersten im wahrsten Sinne unter der Last des Verkehrs, wie wir es auch in Rheinland-Pfalz jeden Tag sehen. Besonders im Südwesten Deutschlands ist die Belastung extrem, und der Nachholbedarf für Instandhaltungen ist enorm. Dennoch werden auch in Rheinland-Pfalz weiter Autobahnen geplant, während wir dringend ein Moratorium bräuchten. Noch mehr Autos verträgt Deutschland nicht, mit fast 49 Millionen sind wir am Limit. Wir wollen das Auto nicht abschaffen, aber wir müssen die Zahl und die gefahrenen Kilometer reduzieren.
Ein Tempolimit würde im ohnehin hochgradig regulierten Bereich Verkehr greifen. Der Verkehr an sich ist eine Einschränkung, denn ohne Regeln funktioniert er nicht. Deshalb wäre das Tempolimit kein Verbot, das unsere Freiheit beschneidet, sondern sie erhöht – durch weniger Staus und damit eine bessere Mobilität auf den Straßen. Und schon ein Blick in Rheinland-Pfalz’ Nachbarland Frankreich reicht, um zu sehen: Wo ein Tempolimit gilt, gibt es auf den Autobahnen weniger tödliche Unfälle.
"Bei der Forderung nach einem Tempolimit geht es nicht um Fakten, sondern um Ideologie. Der mündige Bürger sollte selbst über sein Verhalten entscheiden.“
Lutz Leif Linden, Generalsekretär des Automobilclub von Deutschland (AvD)
Ein generelles Tempolimit auf Autobahnen ist eine Forderung, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit erneut auf den Tisch kommt. Umweltschutz, Verkehrssicherheit, Energiesparen, europäische Harmonisierung, Geschlechtergerechtigkeit – der Kreativität scheinen kaum Grenzen gesetzt. Es geht nicht mehr um Fakten, sondern um Ideologie.
Beispiel Klimaschutz: Längst ist klar, dass ein Tempolimit von 130 km/h nahezu keine CO2-Einsparung bringt. Denn bereits heute fahren rund 80 Prozent der Autofahrer auch auf Strecken ohne Tempolimit nicht schneller als 130 km/h, und nicht einmal 2 Prozent fahren schneller als 160 km/h. Das Potenzial für eine CO2-Einsparung durch ein Tempolimit beziffert selbst die Denkfabrik Agora Verkehrswende auf maximal zwei Millionen Tonnen pro Jahr. Angesichts der jährlichen bundesdeutschen CO2-Gesamtemission von rund 762 Millionen Tonnen also eine Veränderung um lediglich 0,26 Prozent. Diese Erkenntnis lässt sich analog auf das Potenzial zur Energieersparnis übertragen und führt zu der Frage, warum der mündige Bürger nicht selbst über sein Verhalten entscheiden können sollte. Ist es nicht als Akt der Basisdemokratie zu werten, wenn die Menschen eigenverantwortlich entscheiden, ob sie durch langsames Fahren etwas Kraftstoff sparen möchten oder eben nicht?
Auch der Blick auf die Verkehrssicherheit zieht nicht. Wie ein Ländervergleich im Rahmen einer Studie der International Traffic Safety Data and Analysis Group zeigt, besteht zwischen Tempolimit und Verkehrssicherheit kein statistischer Zusammenhang. Die Rate der tödlich verunglückten Personen pro eine Milliarde gefahrene Kilometer liegt auf deutschen Autobahnen mit 1,75 deutlich unter den tempobegrenzten Nachbarn Belgien (2,65) oder Italien (3,84). Auch zeigen Erfahrungen aus dem Ausland, dass eine Anhebung der erlaubten Geschwindigkeiten der Verkehrssicherheit nicht geschadet haben. Schwedische Studien belegen vielmehr, dass ein Tempolimit das Frustrations- und Stresslevel erhöht und einem riskanten Fahrverhalten Vorschub leistet.