Nach der Rezession ging die Chemie auf Erfolgskurs. Doch seit dem dritten Quartal 2021 zeigen sich Bremsspuren in der Branchenkonjunktur, die immer länger werden. Auslöser war ein ganzes Problembündel: Materialmangel, steigende Energie- und Erzeugerpreise, Logistikprobleme. Wichtige Entwicklungen auf einen Blick:
Chemie-Entgelte stiegen viel schneller als Produktivität
Das Erfreuliche zuerst: Die Chemie-Tarifentgelte haben seit 2010 um über 29 Prozent zugelegt, die gesamten tariflichen Leistungen sogar noch mehr. Das toppt die Teuerung hierzulande locker: Die Realeinkommen der Beschäftigten wuchsen also. Zwar ziehen die Verbraucherpreise derzeit an. Doch das dürfte ein vorübergehender Effekt sein, urteilt etwa der Sachverständigenrat. Dagegen die Arbeitskosten: Sie kletterten um über 40 Prozent seit dem Jahr 2010 – inklusive solcher Posten wie Sozialabgaben, übertariflicher Bezahlung und Weiterbildungsaufwendungen. Aufgefangen werden könnte das durch eine höhere Produktivität. Doch die liegt aktuell sogar unter dem Stand von 2010. Unterm Strich: Der Kostendruck auf die Chemieunternehmen am Standort Deutschland ist enorm.
Chemie-Produktion gerade noch im Plus
In den meisten Chemiesparten ist die Produktion zuletzt zurückgegangen. Dagegen machte der Pharmabereich deutlich mehr Tempo – weil Impfstoffe gefragt waren. Er sorgte zusammen mit der Petrochemie dafür, dass der gesamte Industriezweig unterm Strich immerhin noch leicht im Plus blieb – aber nur um magere 0,8 Prozent gegenüber dem zweiten Jahresquartal. Alle anderen Sparten haben ihre Produktion gedrosselt. Die Gründe dafür sind durchweg dieselben: Materialmangel, Engpässe in der Logistik, steigende Energiepreise.
Chemie-Arbeitskosten international weiter mit an der Spitze
Im weltweiten Vergleich der Chemie-Arbeitskosten liegt Deutschland weit vorn: auf Platz drei hinter Dänemark und Belgien. Und das, obwohl diese Kosten 2020 im zweiten Jahr in Folge leicht gesunken sind: Dämpfend wirkten der Konjunktureinbruch des Jahres 2019 sowie die Corona-Folgen im vergangenen Jahr. Diese führten zu deutlich niedrigeren Bonuszahlungen im Frühjahr 2020. Weil die allermeisten Wettbewerber dagegen teurer wurden, verkürzte sich der Abstand zu vielen Konkurrenzstandorten zwar etwas. Doch noch immer haben etwa die USA einen Kostenvorteil von 17 Prozent. Bei Japan sind es 32 Prozent und bei Großbritannien sogar fast 40 Prozent.
Auslastung der Chemie-Produktion sinkt
Die Auslastung der Chemieanlagen ist zuletzt eingeknickt – nämlich um fast 4 Prozentpunkte im dritten Quartal. Sie liegt jetzt am unteren Rand des Normalbereichs. Der Aufwind, der im Sommer 2020 einsetzte, hat mittlerweile spürbar an Kraft verloren. Kein Wunder, schließlich sahen sich seither viele Chemiebetriebe gezwungen, bei ihrer Produktion auf die Bremse zu treten (siehe auch Meldung oben).
Erzeugerpreise treiben Chemie-Umsatz
Rohstoffe und Energie haben sich rasant verteuert, ebenso die Tarife für Seefracht. Im Oktober stiegen die Erzeugerpreise gegenüber dem Vorjahresmonat sogar so stark wie seit 70 Jahren nicht. Das bekommen die Chemiebetriebe mit Wucht ab: Denn ihre Produktion braucht beispielsweise viel Energie – etwa Erdgas. Und dieses ist zudem ein wichtiger Rohstoff für unsere Branche. Die Chemie erreichte aber auch ein kräftiges Umsatzplus: Denn die Unternehmen konnten ihre höheren Kosten überwiegend an die Kunden weitergeben. Viele Abnehmer haben auch Sorge vor Materialknappheit und leeren Lägern. Sie bestellten daher auf Vorrat. Solche Sondereffekte werden aber nicht von Dauer sein. Extra-Schub erzeugte nicht zuletzt die hohe Impfstoffnachfrage weltweit. Das gilt besonders für Rheinland-Pfalz, wo ja auch Biontech beheimatet ist: Bei uns kletterten die Pharma-Umsätze allein von Januar bis September 2021 um über 60 Prozent.
Geschäftsklima in der Chemieindustrie kühlt ab
Wie geht es jetzt weiter? Die schnelle Erholung der Chemie nach der Krise ist abgeflaut. Die Branche erwartet, dass sich das Geschäft im jetzigen Winterhalbjahr wieder verschlechtert. Ein Grund ist die Corona-Pandemie, die weltweit angesichts stockender Impfkampagnen wieder aufflackert. Obendrein treffen Engpässe bei Material und Logistik auch unsere Kunden im In- und Ausland. Prominentestes Beispiel dafür ist die Automobilindustrie: Der Chipmangel hat sie trotz guter Nachfrage ausgebremst – mit weitreichenden Auswirkungen auf ihre Zulieferer, auch aus der Chemie.