Ein Rheinländer ist gerne mal an den falschen Stellen laut. Ein Eifeler hingegen sagt bedächtige Sätze wie „Ich bin in so viele Sachen reingestolpert“, wenn er über seine Karriere spricht. Dietmar Kaiser ist Eifeler, gebürtig und wohnhaft in Mendig, aber mit Karriere im Rheinland, in Andernach, 15 Minuten bergab. Er ist einer der fünf Geschäftsleiter bei Finzelberg, Spezialist für die Extraktion von Pflanzenwirkstoffen für Pharmazeutika und Lebensmittel.
Kaiser verantwortet die Produktion. Den Bereich, in dem er 1985 als Azubi zum Chemie-Facharbeiter (heute: Chemikant) angefangen hat. „Manche sagen, ich würde jetzt Traumata bewältigen und alles, wo ich früher gearbeitet habe, umbauen“, sagt er hörbar ironisch. In den Aussagen des hageren 56-Jährigen mischen sich häufig Ironie und Understatement, als staune er über das, was er erreicht hat und tut. Für einen Manager, der derzeit mit Krisenbewältigung zu tun hat, sind Bescheidenheit und Selbstreflexion allerdings Tugenden.
Die Stationen seines Aufstiegs: 1988 Übernahme als Facharbeiter, 1989 Vorarbeiter. Kaiser erinnert sich an die Begründung so: „‚Der stellt sich nicht doof an.‘ Damals war das eine hohe Bewertung.“ Er machte den Industriemeister, wurde zuständig für eine der Extraktionslinien, auf denen Finzelberg mit verschiedenen Verfahren Wirkstoffe aus Kräutern, Blättern, Kernen und Wurzeln zieht. Anfang der 2000er entschied sein Betriebsleiter: „Weißte was? Ich geh in Rente und du machst das.“ Seine Antwort: „Joah.“ Kaiser setzte den Industrie-Betriebswirt drauf, und weiter fiel ihm Verantwortung scheinbar in den Schoß: Gesundheit wurde ein Thema – Kaiser baute das betriebliche Gesundheitsmanagement auf. Umwelt- und Energiemanagement wurden wichtiger – Kaiser baute das Nachhaltigkeitsmanagement auf. 2018 schließlich Generationswechsel in der Geschäftsführung. „Mir wurde gesagt: ‚Wir hätten Sie da gerne.‘ Ein Angebot, das du nicht ablehnen kannst.“
„Ein großes Eigeninteresse an Themen“
Ein wenig Eigenlob lässt Kaiser sich entlocken: „Es macht mir Spaß, Prozesse zu strukturieren. Wenn Ihnen dann die eine oder andere Sache gelingt, unterstellen die Menschen, dass das so bleiben wird“, sagt er. Und ergänzt sein Erfolgsrezept: „Ich langweile mich schnell. Deshalb habe ich ein großes Eigeninteresse an Themen und schaue mir an, was wir daraus für die Produktion und fürs Unternehmen ziehen können.“
In der Energiekrise hat sich dieser Ansatz als fast visionär entpuppt. Finzelberg plant schon seit Jahren den klimaneutralen Betrieb ab 2025. Dazu wird 2024 ein Biomassekraftwerk starten, das das Unternehmen schrittweise autark von der Gasversorgung macht. Bis dahin werden es einige harte Monate, aber Kaiser ist heilfroh, dass die Unabhängigkeit bevorsteht. Die Energiekosten von Finzelberg haben sich verdoppelt; und da die Konsumenten bei rezeptfreien Arzneien und Lebensmitteln gleichermaßen preissensibel sind, kann das Unternehmen die Mehrkosten bestenfalls zur Hälfte weitergeben. „Wir haben aber langjährige vertrauensvolle Beziehungen sowohl zu Lieferanten als auch zu Kunden“, betont Kaiser. Das hilft, das Geschäft zu stabilisieren.
Genauso hilft das Vertrauen der Martin Bauer Group, der Holding, zu der Finzelberg gehört. Ein Familienunternehmen, das fürs Heute und fürs Übermorgen handelt. Kaisers Draht zum Seniorchef ist kurz, das Tempo gerade bei Krisenentscheidungen spricht für sich. Als Corona ausbrach, beantragte Kaiser samstagnachts die Zulassung als Desinfektionsmittelproduzent, Finzelberg verschenkte letztlich Zehntausende Liter an Krankenhäuser und Pflegeheime. Als die Flut Tod und Zerstörung ins Ahrtal brachte, organisierte Finzelberg einen Hilfsfonds, in den selbst Geschäftsführer von Kunden hohe Beträge spendeten. Als die Energiepreise anzogen, hatte Finzelberg bereits 25 Prozent Energie eingespart.
Planer, Erklärer, Beruhiger in Krisen
Dass seine Kollegen und er die Hälfte ihrer bisherigen Amtszeit im Krisenmodus verbracht haben, lässt sich Kaiser nicht anmerken. Gerade dann müssten Geschäftsführer ihre Rolle der Planer, Erklärer und Beruhiger doch noch viel stärker ausfüllen, meint er. Sein Stallgeruch hilft ihm dabei sehr, sein Wesen und seine Methoden ebenfalls. Eine davon: „Ich laufe häufig Kollegen im Betrieb über den Weg – absichtlich und unabsichtlich.“ Da sein, ansprechbar sein, Sorgen und Nöte auf- und ernst nehmen, aber eben auch einordnen, das macht es aus. „Die Zahlen für 2023 sehen gut aus“, sagt Kaiser, unter anderem, weil sich die Menschen wieder häufiger erkälten und zu pflanzlichen Arzneimitteln greifen. Ein Damoklesschwert hänge indes über allem, auch das ordnet der Geschäftsführer offen ein: „Sollte jemand den Gashahn komplett zudrehen, produzieren wir hier gar nichts mehr. Aber danach sieht es ja nicht aus.“
So steuert die Geschäftsleitung Finzelberg sicher durch die Krise. Mit einem Mitglied, das seine Rolle schon in der Band seiner Jugend gefunden hatte: „Illegal“ nannte sie sich, „wir haben Grunge gemacht, bevor der so hieß, eine Mischung aus Nirvana und BAP“. Kaiser spielte die Rhythmusgitarre. Wichtige Arbeit verrichten, ohne ganz vorn zu glänzen. Nicht zu laut auftreten.