Ringe, Ketten, Uhren, Ohrringe – früher trug Jutta Wolf jeden Tag Schmuck. Als Verkäuferin in einem Juwelierladen wusste sie immer, was gerade im Trend ist. Doch inzwischen sind größere Schmuckstücke bei der Arbeit für sie sogar verboten: Die 50-Jährige arbeitet heute als Gefahrguttransportfahrerin bei Ursa-Chemie in Montabaur. Nur ein Accessoire gehört jetzt noch zum Alltag: die Schutzbrille, die ihre Augen vor schädlichen Substanzen schützt.
„Die Schmuckzeit war schön, aber tauschen würde ich nie mehr“, sagt Wolf. „Das hier ist meins.“
Die Geschichte von Jutta Wolf zeigt, wie sehr es sich lohnen kann, ganz neu anzufangen. Dass Quereinstiege gelingen können, auch wenn man eine Familie hat und vorher etwas ganz anderes gemacht hat. Fast 20 Jahre ist es her, dass Wolf bei Ursa begann. Als Verkäuferin konnte sie damals nicht weitermachen. Ihr alter Arbeitgeber machte zu, bei anderen Geschäften hätte sie nur ganze Tage arbeiten können – nicht kompatibel mit ihren beiden kleinen Kindern. „Bewirb dich doch bei uns“, riet ihr Schwager, der bereits für Ursa arbeitete.
Nötige Qualifikationen: Lkw-Führerschein und Gefahrgut-Schein
Und tatsächlich bewarb Wolf sich, überzeugte die Geschäftsführung, fing als Chemiearbeiterin bei Ursa an und arbeitete sich schnell hoch. Vom Minijob wechselte sie in Teilzeit, von Teilzeit in Vollzeit. Anfangs erledigte sie einfache Aufgaben, füllte Farbstoffe in Beutel ab und klebte Etiketten auf Kanister. Doch dann kam der Tag, an dem sie die interne Ausschreibung entdeckte: Lkw-Fahrer gesucht. „Da wollte ich mich sofort bewerben. Ich fahre gerne“, sagt Wolf.
Zweifel kamen ihr, als sie von der Größe des Fahrzeugs erfuhr: Statt eines 7,5-Tonners, für den ihr Autoführerschein gereicht hätte, wurde ein 12,5-Tonner angeschafft. „Das war mir eigentlich viel zu groß. Aber ich hatte mich schon beworben, und so bin ich dann mit 40 noch mal in der Fahrschule gelandet“, erzählt sie. Sie machte die Prüfung zur Berufskraftfahrerin, der Arbeitgeber übernahm die Kosten.
Zu einem solchen Quereinstieg gehört natürlich, sich neues Wissen anzueignen. Für die Theorieprüfung in der Fahrschule musste Wolf viel über Bremstechnik, Ruhezeiten und Überholmanöver lernen. „Lange zuhören, auswendig lernen – das kannte ich nach so langer Zeit im Arbeitsleben gar nicht mehr“, sagt Wolf. Doch es hat sich gelohnt: Sie bestand mit null Fehlern. Auch den Gefahrgut-Schein erwarb sie. Der ist nötig, um gefährliche Güter auf der Straße transportieren zu dürfen.
Aufgaben: Behälter kontrollieren und transportieren
Nun ist Wolf dafür zuständig, Güter zwischen Produktionshalle und Logistikzentrum hin und her zu transportieren. Ursa stellt für andere Unternehmen Chemikalien nach Rezept her und verschickt sie in die ganze Welt. Wolf entscheidet, welche Produkte sie in welcher Reihenfolge transportiert. Sie prüft, ob die Fässer, Kanister oder 1000-Liter-Container dicht sind. Eine verantwortungsvolle Aufgabe, denn enthalten sind oft ätzende oder giftige Substanzen. Sie setzt sich auf den Gabelstapler und befördert eine Ladung nach der anderen in den Lkw. Mit dem fährt sie dann mehrmals am Tag hin und her. „Das macht riesigen Spaß“, sagt Wolf.
Es gab aber auch Hürden für die Quereinsteigerin. „Der Stapler hat mich wahnsinnig gemacht“, erzählt Wolf. Am Anfang habe sie viele Kollisionen mit dem Stapler verursacht, unter anderem mit einem Rolltor. Dass Ähnliches auch erfahrenen Kollegen noch passiert und niemand ihr das übel nahm, beruhigte sie kaum. „Es sind schon Tränen geflossen“, sagt sie. Sie setze sich selbst immer sehr unter Druck, alles richtig zu machen. „Geduldig sein ist für mich ganz schwierig. Ich möchte am liebsten alles sofort können.“ Was ihr bis heute hilft, ist, dass die Kollegen sie immer unterstützen. „In der Firma bekommt man immer den Rücken gestärkt.“
Vorteil des Quereinstiegs: Zusammenhalt unter Kollegen
Ob der neue Job noch etwas mit dem alten beim Juwelier gemein hat? Nicht viel, findet Wolf, schließlich hat sie die Wärme des Schmuckladens gegen einen Job getauscht, bei dem sie auch bei Regen und Kälte draußen arbeitet. „Das macht mir aber gar nichts, ich habe ja eine Jacke“, sagt sie und lacht.
Einzig der Kontakt zu vielen unterschiedlichen Menschen ist geblieben. Früher handelte es sich meist um Kunden, heute trifft sie vor allem die Kollegen aus den unterschiedlichen Bereichen – vom Chemikanten bis zum Logistiker. Bei ihnen wird sie für ihre Akribie geschätzt, und schon mal liebevoll damit geneckt, „übergewissenhaft“ zu sein. Die gute Beziehung zu vielen ihrer Kollegen ist ein wichtiger Grund, warum sie so froh ist, den Umstieg gewagt zu haben.
Auch privat probiert sie immer wieder Neues. Ihr Hobby ist Walken, einmal im Jahr läuft sie inzwischen sogar einen Halbmarathon. Selbst eine Alpenüberquerung über den Wanderweg E 5 hat sie gemacht. Und kürzlich hat sie geheiratet. Einen Ring trägt sie seitdem auch wieder – zumindest nach der Arbeit.