Noch ist von dem Innovationszentrum, das der Methacrylat-Produzent Röhm an seinem größten Produktionsstandort in Worms baut, nicht viel zu sehen. Auf der Baustelle sind Bagger am Werk. Hier sollen im nächsten Jahr über 100 Forscher und Anwendungstechniker einziehen. „Das neue Gebäude wird strahlen“, versichert Stephan Nicolay und meint sowohl die architektonische Ausstrahlung als auch die Innovationskraft. Der Architekt ist als Projektmanager dafür verantwortlich, dass es auf der Baustelle vorangeht und vor allem, dass es so wird, „wie die Nutzer es benötigen“.
In dem Innovationszentrum wird Röhm die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten verschiedener Standorte bündeln. In Worms stellen rund 1.000 Beschäftigte Polymethylmethacrylat-Formmassen (PMMA), bekannt unter der Marke Plexiglas, und ihre Vorprodukte MMA (Methylmethacrylat) her. Das Innovationszentrum stärkt Standort und Forschung. „Hier wird künftig das Brain von Röhm sein“, so Nicolay.
Das mittelständische Unternehmen (rund 3.500 Mitarbeiter und 15 Produktionsstandorte weltweit) hatte schon in der Vergangenheit Erfolg mit Innovationen. Beispiel: Es hat das sogenannte LiMA-Verfahren (Leading in Methacrylates) entwickelt, das eine hohe MMA-Ausbeute mit geringerem Energieverbrauch und weniger Abwasser erreicht. Die Bauarbeiten für die erste Großanlage, in der die neue Technologie eingesetzt wird, sind in den USA bereits in vollem Gange.
Solarpaneele und Technik mindern Emissionen
Zu dem Gebäudekomplex in Worms gehören Labore, Pilotanlagen, Konferenzbereiche, Lagerräume, Chemiecontainer und vieles mehr. Weil das Unternehmen bis 2030 seine Treibhausgas-Emmissionen um 30 Prozent senken will, werden Solarpaneele installiert und intelligente Technik integriert. „Wir bauen eine Art gut durchdachte Maschine“, sagt der Architekt von Röhm.
Der 59-Jährige ist auch Vorsitzender des Instituts für das Bauen mit Kunststoffen in Darmstadt. „Wir sind ein Bindeglied zwischen der Chemie- und der Bauindustrie. Wir sorgen für die Rückkopplung, lenken den Blick auf den Bedarf der Planenden und Bauenden“, so Nicolay.
Das Markenacrylglas Plexiglas, vor knapp 90 Jahren vom Chemiker Otto Röhm erfunden, ist ebenfalls ein faszinierendes Baumaterial, beispielsweise für Stadien und Riesenaquarien. Über Kunststoffe kam Nicolay seinerzeit zu Röhm. Er hat in den 15 Jahren, in denen er für das Chemieunternehmen arbeitet, schon mehrere Projekte verantwortet. Das Innovationszentrum ist das größte. „Für die komplexe Planung brauchten wir etwa ein Jahr.“ Das klingt nach viel Zeit, sei aber sehr schnell. Bei einem Mittelständler wie Röhm sind die Entscheidungswege kurz.
Platz für persönlichen Austausch und Ideen
Offenheit gehört zu den Unternehmenswerten des Methacrylat-Produzenten, und das muss auch das Gebäude widerspiegeln. Innovation entsteht nicht im Stillen im Labor, sondern im Dialog, ist der Architekt überzeugt: Deshalb bietet das neue Zentrum Platz für Begegnungen. „Corona hat uns gezeigt, dass viele Geschäftsreisen nicht unbedingt sein müssen, aber hin und wieder ist der persönliche Kontakt zwingend notwendig.“
Wie reibungslos die neue virtuelle Art zu arbeiten inzwischen funktioniert, weiß Nicolay besonders gut. Denn der Projektmanager lebt eigentlich mit seiner Familie in Schweden. „Ich bin zu 100 Prozent papierlos“, behauptet er: ein Handy, zwei Rechner, das war’s. Das Smartphone ersetzt ihm die Visiten- und Kreditkarten und das ganze Büro. Für seine Lebensart brauche er „WLAN eimerweise“, erzählt Nicolay. Voraussetzung für die Arbeit im Homeoffice ist, dass man sich im Team gut absprechen kann – und die Infrastruktur stimmt. „In Schweden gibt es Mobilfunkabdeckung im dichtesten Wald. Deutschland ist mittlerweile nicht mehr so schlecht, aber regional gibt es noch weiße Flecken.“
Nicolay ist Architekt in der vierten Generation. Ihn reizt an dem Beruf, „Dinge zu schaffen, die weit über die eigene Lebenszeit hinaus existieren werden“. Es müssen nicht gleich die Pyramiden sein: Auch ein Industriegebäude kann Zeuge einer bestimmten Epoche werden. „Sehen Sie sich das Ruhrgebiet an: Die ganzen Industrien von damals sind heute Kulturdenkmäler!“