Die Erfolgsformel für engagiertes und erfolgreiches Arbeiten im Alter lässt sich auf drei „S“ herunterbrechen: Sicherheit, soziales Umfeld und keinen Stillstand. Jedenfalls gilt diese Formel für Röchling Industrial. Bei dem Kunststoffhersteller in Lahnstein haben sich an diesem Tag gut 160 Jahre Firmenerfahrung versammelt: Stefan Jenner, seit 1981 im Haus, heute Vorsitzender des Konzernbetriebsrats, sowie Ingo Heuser und Reiner Lautz, seit 1982 dabei. Heuser arbeitet in der Anwendungstechnik und mit größter Begeisterung in der Kundenberatung, wo er Neuerungen und Anwendungen der Halbzeuge aus Thermo- und Duroplasten erklärt, die hier entwickelt und produziert werden. Lautz ist Meister im Polymer-Center. Begonnen hatten Heuser und er als erste Azubis zum Kunststoff-Formgeber (heute Verfahrensmechaniker Kunststoff und Kautschuk) bei der damaligen Sustaplast. Die Vierte am Tisch: Personalleiterin Iris Willrich, seit 1985 an Bord.
Sicherheit und soziales Umfeld
Was brauchen Beschäftigte zwischen Mitte und Ende 50, damit sie gut und gerne arbeiten? Und was tun Unternehmen, damit ihnen die Erfahrung solcher Mitarbeitenden angesichts des Fachkräftemangels möglichst lange erhalten bleibt? Da ist zunächst die Sicherheit: „Das war hier immer ein sicherer Job“, sagt Lautz. „Die Rahmenbedingungen stimmen, das Geld auch, die Arbeit macht Spaß.“ Die Babyboomer mussten froh sein, wenn sie angesichts des Überangebots an jungen Menschen überhaupt eine Ausbildung fanden. Passte die dann noch mit Interessen und Fähigkeiten wie Technik oder handwerklichem Geschick zusammen, war das ein Lottogewinn. „Durch alle wirtschaftlichen Aufs und Abs sind wir eigentlich immer gewachsen“, sagt Jenner. Als er anfing, waren es 80 Mitarbeiter, heute beschäftigt Röchling in Lahnstein sowie dem dazugehörigen Werk Nentershausen 370 Menschen. Dieses Gefühl einer langfristigen, positiven Entwicklung schafft und stärkt die Bindung ans Unternehmen.
Mindestens genauso wichtig ist das soziale Umfeld. Einmal das persönliche: Lautz wohnt acht Kilometer vom Werk entfernt, Jenner sogar nur zwei. Die Wege sind kurz, man kennt das Unternehmen in der Umgebung, trifft Kollegen in der Freizeit, man identifiziert sich, spricht auch im Privatleben über die Arbeit. „Da steckt schon mal eine Bewerbungsmappe im Briefkasten, und ich werde gefragt, ob ich ‚nicht was tun‘ könnte“, lächelt Jenner. Man kann sagen: Im Großraum Lahnstein ist für Brancheninteressierte „bei Röchling“ zu arbeiten so wie andernorts „beim Daimler“.
Ein „enkelfähiges“ Unternehmen
Mindestens so wichtig wie das soziale Umfeld zu Hause ist das im Betrieb: „Es sind Menschen, die die Unternehmen ausmachen“, betont Willrich. „Wir verbringen einen Großteil des Tages zusammen, wir werden zusammen alt.“ Also sollte ein Unternehmen funktionieren wie eine Familie: Man unterstützt einander so, dass sich Jung und Alt wohlfühlen. Röchling gehört der gleichnamigen Familie, daraus ergibt sich ein Selbstverständnis im Umgang mit Beschäftigten. Willrich spricht von der „Enkelfähigkeit“ und meint damit, dass auch die Enkelgeneration etwas von der Firmengruppe hat. Der Begriff lässt sich aber mühelos übertragen. Auf ein Arbeitsumfeld, in dem die übernächste Generation gerne tätig wäre und in dem Röchling Ehrlichkeit und Respekt unabhängig von Alter oder Hierarchie pflegt. Und in dem die potenziellen Großeltern ebenfalls „enkelfähig“ bleiben. Oder einfach: fit.
Automatisierung und Digitalisierung haben vieles erleichtert. Lautz muss keine Granulatsäcke mehr in die Extrusionsanlagen wuchten. Betriebsarzt und Bistro mit gesundem Angebot stehen bereit, auch mit Fitnessstudios kooperiert Röchling. Tarifvertragliche Regelungen wie die Altersfreizeit kommen hinzu. „Inzwischen brauche ich eben einen Tag, um mich zu erholen“, erzählt Heuser lachend von den zahlreichen Kunden-Workshops jährlich.
„ Ich kann nicht stehen bleiben, wo ich vor 40 Jahren war
Entscheidend ist aber: kein Stillstand. „Ich kann nicht stehen bleiben, wo ich vor 40 Jahren angefangen habe. Dann wäre ich fehl am Platz“, sagt Jenner. „Es ist wichtig, Menschen um sich zu haben, die einen lenken und fordern, unterstützen, Verantwortung und Freiräume übertragen“, ergänzt Willrich. Auf diese Weise haben alle vier Karriere gemacht und stehen in Verantwortung. Sie haben Dinge mit aufgebaut, so wie Heuser die Kundenberatung. Sie sind den technischen und kulturellen Wandel mitgegangen. Und sie gehen mit den jungen Generationen mit: „Unsere Erfahrung ist ja nur die eine Seite“, sagt Jenner. „Die andere ist die Inspiration durch neue Leute.“ Weil dieses Miteinander gut funktioniert, muss es Röchling nicht bang werden, wenn die goldenen Fünfziger einst in den Ruhestand gehen.