Arbeiten in der Chemie

Chemieindustrie: Wo Chefs kreativ führen

· Lesezeit 7 Minuten.
Marcel Peters steht mit Kollegen im Betrieb.
Freigestellt: Marcel Peters (links) hat den Praxisstudiengang „Industriemeister Chemie“ mit Top-Ergebnis bestanden. Foto: Jan Hosan.

Anleiten, vertrauen, neue Wege gehen: Chemieunternehmen in Rheinland-Pfalz setzen zunehmend auf kreatives Führen. Wie das in der Praxis funktioniert, haben wir uns angesehen.

Vom Azubi zum Meister

Der Lackhersteller Jansen in Ahrweiler entwickelt den Firmennachwuchs gezielt für verantwortliche Positionen. Jüngstes Beispiel für so eine Karriere ist Marcel Peters. „Ich wollte nach meiner Ausbildung zum Chemikanten mehr erreichen“, sagt der 22-Jährige. Also besuchte er das TA Bildungszentrum in Hameln. Dort hat er im September 2020 den Praxisstudiengang „Industriemeister Chemie“ nach 16 Wochen hartem Lernen bestanden – mit einem Top-Ergebnis. Nun reiht sich Peters in die Riege junger Industriemeister bei dem international tätigen Hersteller von Lacken, Lasuren und Lösungen ein.

Marcel Peters an seinem Arbeitsplat.
Marcel Peters hat dankk de Unterstützung durch den Arbeitgeber Jansen den Praxisstudiengang „Industriemeister Chemie“ mit Top-Ergebnis bestanden. Foto: Jan Hosan.

„Der Lehrgang war eher kurz, aber sehr anstrengend“, räumt Peters ein. „Bei der Abschlussprüfung jedoch sitzt das Wissen besser als in der Abendschule, die länger dauert.“ Gut, dass ihn der Lackhersteller für die Weiterbildung von seiner beruflichen Tätigkeit freigestellt hatte – so war konzentriertes Lernen möglich.

Wie geht es weiter mit dem jungen Durchstarter? „Er wächst in die Verantwortung hinein“, sagt Peter Jansen, Geschäftsführer bei Jansen. Peters wird Sicherheitsbeauftragter, steht Azubis beim Werkunterricht mit Rat und Tat zur Seite und vertritt seine Vorgesetzten, wenn die nicht anwesend sind.

„Dass sich Berufsanfänger schon frühzeitig für solch eine anspruchsvolle Weiterbildung entscheiden, ist ganz in unserem Sinne“, betont Firmenchef Jansen. „Wir profitieren unmittelbar vom neuen Fachwissen und der Motivation der Absolventen. Langfristig sichern wir uns den Führungsnachwuchs im Unternehmen.“

Dabei hat sich der Führungsstil bei dem Mittelständler im Verlauf der Jahre gründlich verändert. „Als ich Ende der 90er Jahre die Leitung übernahm, da hat immer einer vorgegeben, wo es langgeht“, erinnert sich Peter Jansen. „Heute dagegen ist von jedem Mitarbeiter mehr Mitdenken, Dazulernen und Selbstständigkeit gefordert.“

Und genau das bevorzugen die meisten jungen Leute heute, unterstreicht Marcel Peters. Diesen Geist möchte er mit in die Zukunft tragen. „Wer eine solche Firmenkultur erlebt hat, will es nicht mehr anders haben.“

Kommunikation, Motivation, Vertrauen – das ist der Schlüssel zum Erfolg, wenn es um Führung geht, findet Jamie Barber. Der angehende Industriekaufmann, der im dritten Lehrjahr bei Südwest Lacke + Farben in Böhl-Iggelheim arbeitet, hat schon Erfahrung gesammelt: „Ich bin Australier und seit 2016 in Deutschland“, erzählt der 28-Jährige, „in meiner Heimat habe ich ein Fußball-Center mit rund 14 Mitarbeitern geleitet.“ Er weiß: „Man braucht Selbstbewusstsein, Fachkompetenz und eine hohe Kommunikationsfähigkeit. Wenn man offen ist und viel miteinander redet, fühlen sich alle wohl und arbeiten effektiv.“ Mails oder Chats könnten das direkte Gespräch nicht ersetzen. Dazu kommt die Motivation: „Gute Chefs können ihre Leute begeistern, etwa beim Sport. Ohne Motivation geht gar nichts.“ 

Azubi Jamie Barber steht neben einem Kollegen.
Die Juniorfirma von Südwest Lacke funktioniert wie ein richtiges Unternehmen. Nur mit dem Unterschied, dass Azubis wie Jamie Barber (links) auch mal in die Chefrolle schlüpfen dürfen. Foto: Südwest Lacke + Farben.

Auch im Unternehmen hat er bereits Führungsqualitäten bewiesen, zum Beispiel im firmeneigenen Azubi-Unternehmen „Pfalzfarben“. Hier organisieren die Azubis eigenverantwortlich den Direktverkauf des Produktsortiments an Mitarbeiter sowie Bürger der Umgebung. Barber: „Aktuell zeige ich den Neuen, wie unser Geschäft funktioniert.“ Was steht für ihn als „Pfalzfarben-Chef“ an erster Stelle? „Offen reden, Teamarbeit und Vertrauen. Und nicht ständig den Kollegen über die Schulter schauen und kontrollieren, wie die Arbeit läuft.“ Auf die Frage, ob er selbst eine Führungsposition anstrebt, lächelt Barber und meint: „Ja. Aber ich habe auch kein Problem damit, Teil eines Teams zu sein.“ Dass er ein echter Teamplayer ist, hat er bereits im Rahmen eines Website-Projekts unter Beweis gestellt.

Führung in Teilzeit

Nur 60 Prozent der Zeit an Bord – und doch eine vollwertige Chefin: Für Kerstin Schmitt (44) ist Führen in Teilzeit – kurz FiTZ genannt – Alltag. Seit vier Jahren leitet die diplomierte Psychologin ein Team der Personalentwicklung beim Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim (BI): „Eine große Herausforderung, die ich gern annehme.“ Mit sechs Mitarbeitern verantwortet sie Weiterbildungen aller Art von der Entwicklung sozialer Kompetenzen bis hin zu Sprach- und Computerschulungen. „Ich erhalte alle Informationen, Fortbildungen, man traut mir alles zu – ich bekomme aber auch die volle Verantwortung.“

Portraitfoto Managerin Kerstin Schmitt
Kerstin Schmitt leitet bei Boehringer Ingelheim ein Team in der Personalentwicklung – in Teilzeit. Foto: Boehringer Ingelheim.

Was ihr besonders gefällt: „Ich habe Zeit für meine beiden Kinder und kann trotzdem Karriere machen, das ist großartig.“ An vier Tagen der Woche ist Schmitt für fünf bis sechs Stunden im Unternehmen, der Mittwoch ist frei. „Mein Team weiß, im Notfall kann man mich jederzeit anrufen. Das funktioniert sehr gut.“ Klar, für die Kollegen sei sie gefühlt die Hälfte der Zeit nicht da: „Ich vertraue darauf, dass alle gut arbeiten, auch wenn ich nicht danebenstehe.“ Für Kontrollfreaks sei das Modell daher ungeeignet. Und man müsse spannende Themen und Projekte auch mal abgeben – „sonst ist es zeitlich nicht zu schaffen“.

Seit 2008 gibt es FiTZ bei BI, deutschlandweit nutzen es 145 Führungskräfte, Tendenz steigend. „Das Modell läuft gut“, erklärt Denise Hottmann, Leitung Diversity & Inclusion. Meist würden damit Lebensphasen überbrückt: „Mehr Zeit für Kinder oder die Pflege von Angehörigen, aber auch Weiterbildung, ein Ehrenamt, Erholung nach Krankheit oder der Übergang in den Ruhestand.“

Führung im Tandem bei der BASF

Im September 2019 betraten Saskia Sporys und Daniel Zirnig berufliches Neuland: Seither sind sie Gruppenleiter im BASF-Unternehmensbereich Nutrition & Health – als Tandem. Diese Führung in Teilzeit ist ein zukunftsweisendes Angebot der BASF, um Mitarbeitern die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erleichtern.

Sporys und Zirnig zögerten nicht, als sie von der ausgeschriebenen Tandemstelle erfuhren. Gemeinsam bewarben sie sich auf die Leitung des globalen Produktmanagements für pharmazeutische Hilfsstoffe am BASF-Standort Lampertheim.

Die Manager Saskia Sporys und Daniel Zirnig stehen auf dem Gelände der BASF.
Wie ein Führungstandem funktioniert, leben Saskia Sporys und Daniel Zirnig bei der BASF vor. Foto: BASF

Beide waren schon seit mehreren Jahren auf verschiedenen kaufmännischen Positionen im Unternehmen tätig. „Für uns war das ideal, um auf dem Karriereweg zu bleiben und gleichzeitig mehr Zeit fürs Private zu haben“, berichtet Saskia Sporys (39). Sie hat zwei kleine Kinder, ebenso wie Daniel Zirnig (39), der begeistert zustimmt: „Ein besseres Jobmodell kann ich mir derzeit gar nicht vorstellen.“

Und so funktioniert das Doppel: Jeder von beiden hat einen Teilzeitvertrag über 60 Prozent. „Modell 60/60“ heißt das im Firmenjargon. Zweimal die Woche überschneidet sich die Arbeitszeit beider für je einen halben Tag – Zeit, die sie auch für gegenseitige Absprachen nutzen. Die restliche Woche ist immer einer von beiden erreichbar. Das klappt ausgezeichnet, betont Zirnig: „Wir liegen beruflich auf einer Wellenlänge, haben zudem einen ähnlichen Arbeitsstil.“ Ganz wichtig, ergänzt Sporys: „Jeder steht nach außen zu den Entscheidungen des anderen.“ Auch die zehn Mitarbeiter der Abteilung haben in einer Befragung bescheinigt: „Ihr“ Tandem ist bestens eingespielt.

Ähnliche Duos sind bei der BASF bislang eher selten. Künftig soll das häufiger funktionieren – etwa zur Einarbeitung neuer Führungskräfte durch ihre Vorgänger, um Mitarbeitern die Pflege naher Angehöriger oder die Weiterbildung zu erleichtern. Über eine neue Jobsharing-App können sich Beschäftigte mit oder ohne Führungsverantwortung dazu mit anderen Tandeminteressierten vernetzen.

Was ein Wirtschaftspsychologe zum Umdenken in den Chefetagen sagt. Und warum bei Budenheim die Führung aus dem Homeoffice so reibungslos funktioniert.

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