Arbeiten in der Chemie

Medikamente entwickeln: Diesen Beitrag leistet die Chemie

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Ärtzin impft jungen Mann während der Pandemie. Foto: Framestock - stock.adobe.com
Der lang ersehnte COVID-Impfstoff: Er konnte deshalb so schnell geliefert werden, weil das mRNA-Know-how bereits da war. Die Biochemikerin Katalin Kariko erhielt dafür nach der Pandemie den Medizin-Nobelpreis. Foto: Framestock - stock.adobe.com

Arzneimittelentwicklung: Auf Chemie und Biochemie kommt es an

Ein Medikament zu entwickeln, kann lange dauern – im Durchschnitt zehn bis zwölf Jahre. Damit ist der Zeitraum vom Start der Laborversuche bis zur ersten Verschreibung gemeint.

Grundlagenforschung, etwa zur nobelpreisgekrönten Click-Chemie, ist dabei noch gar nicht berücksichtigt.

An sehr vielen Schritten der Arzneimittelentwicklung sind Fachleute aus den Gebieten Chemie und Biochemie beteiligt. Dazu zählen:

  • Forschung: Dass neue Erkenntnisse zu den molekularen Prozessen im Körper zu bahnbrechenden neuen Arzneimitteln führen können, zeigt die Biochemikerin Katalin Kariko. Ihr gelang es, eine künstliche Messenger-Ribonukleinsäure (mRNA) zu entwickeln, die eine bestimmte, immunförderliche Proteinbildung ankurbelt. In der Corona-Pandemie machte es die in Fachkreisen bereits bekannte mRNA-Technologie möglich, schnell einen Impfstoff zu entwickeln. Katalin Kariko erhielt 2023 den Nobelpreis für Medizin.
  • Wirkstoffentwicklung: Ein Wirkstoff muss viele Erfolgskriterien erfüllen, zum Beispiel im Körper an der richtigen Stelle andocken, unschädlich sein und sich abbauen. Hier ist interdisziplinäres Wissen gefordert, auch aus den Bereichen Chemie und Biochemie.
  • Formulierung: Um aus dem Wirkstoff ein Medikament zu machen, braucht man die richtige Kombination mit Hilfsstoffen. Diese zu finden, nennt man Formulierung. Das Ziel ist, die bestmögliche Darreichungsform zu schaffen, die nützt und gut verträglich ist.
  • Testing und Analyse: Ob im Chemie- oder gentechnischen Labor – ohne die naturwissenschaftliche Expertise in Synthese, Analyse und Tests geht es auch hier nicht.
  • Herstellung: Bei der Frage, wie sich ein Medikament wirtschaftlich und in größerem Maßstab herstellen lässt, kommt es unter anderem auf Chemie-Know-how an.

Ein Nobelpreis-Chemiker bei Boehringer-Ingelheim

Der Chemiker Heinrich Wieland (1877-1957) gründete 1917 die wissenschaftliche Abteilung bei Boehringer Ingelheim. Diese Abteilung war für alle Forschungs- und Entwicklungsarbeiten im Säure-, Alkaloide und Pharma-Bereich des Unternehmens zuständig.

Zu diesen Zeitpunkt hatte sich Wieland bereits intensiv mit Gallensäuren beschäftigt. Das sind Cholesterin-Abkömmlinge, die in der Leber produziert werden. Sie sind wichtig für die Fettverdauung. Wieland erforschte die Struktur der Gallensäuren und entdeckte deren Verbindungen zu anderen Stoffen. Diese Erkenntnisse nutzte er, um schwer wasserlösliche pharmazeutische Wirkstoffe besser einsetzbar zu machen.

1916 begann Boehringer Ingelheim, Gallensäurepräparate herzustellen. Nach dem Ersten Weltkrieg brachte das Unternehmen das erfolgreiche Medikament Cadechol auf den Markt. Es wurde vor allem bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen eingesetzt.

Wieland fand außerdem heraus, dass das chemische Ringsystem der Gallensäuren in vielen bedeutsamen physiologischen Substanzen vorkommt. Dazu zählen Vitamin D, Sexual- und Nebennierenhormone. Für diese Arbeiten erhielt er 1927 den Nobelpreis für Chemie.

Arzneimittel-Innovationen aus der Proteomik

Die Biochemikerin Gitte Neubauer startete ihre wissenschaftliche Karriere an der Uni Heidelberg. Dort schrieb sie ihre Doktorarbeit im Fachgebiet Proteomik. Es bezieht sich auf die Gesamtheit aller in einer Zelle oder einem komplexen Organismus vorliegenden Proteine.

In ihrem selbstgegründeten Unternehmen Cellzome erforschen sie und ihr Team, durch welche Symptome Krankheiten erkennbar werden und wie verschiedene Arzneimittel auf molekularer Ebene wirken.

Dabei setzen sie ihre Omics-Technologien ein, um genetische Informationen zu analysieren. Die innovativen Technologien wirken wie eine molekulare Lupe. Sie können zum Beispiel aufzeigen, welche Gene im Verlauf einer Krankheit an- oder abgeschaltet werden. Und was dies für die Proteine und deren Funktion bedeutet. Diese Erkenntnisse ermöglichen es, neue Ansatzpunkte für neue Wirkstoffe mit einem kleineren Risiko für Nebenwirkungen zu finden.

Ein Schwerpunkt ist der Kampf gegen Krebs. Cellzome untersucht, welche molekularen Eigenschaften ein Tumor haben muss, damit Erkrankte bestmöglich von ihrer Behandlung profitieren. Dazu behandeln die Forschenden Tumore im Labor mit Wirkstoffen oder Kombinationen aus Wirkstoffen. Sie ermitteln, welche molekularen Eigenschaften ein Tumor hat, der auf ein Medikament anspricht.

Das im Jahr 2000 gegründete Unternehmen Cellzome entstand als Ausgliederung aus dem Europäischen Molekularbiologie Institut in Heidelberg. Heute ist es Teil des Pharma-Unternehmens GlaxoSmithKline.

Gitte Neubauer erhielt zahlreiche Preise, darunter 2011 den EU-Innovationspreis für Frauen von der EU-Kommission.

Good to know: Frauen und Pharma sind heute eine Erfolgskombi

Der Frauenanteil am Forschungs- und Entwicklungs-(F&E-)personal der Pharmaindustrie beträgt 53 Prozent. Damit steht die Branche an der Spitze. Zum Vergleich: Im Verarbeitenden Gewerbe insgesamt sind nur 18 Prozent der F&E-Beschäftigten weiblich.

In pharmazeutisch tätigen Unternehmen liegt der Anteil der von Frauen angemeldeten Patente bei rund 20 Prozent, in der Biotechnologie sogar bei rund 25 Prozent.

Zum Vergleich: In sonstigen Unternehmen liegt er nur bei 5,5 Prozent.

Chemie und KI im Dienst der Medikamentenentwicklung

Der US-Chemiker und KI-Experte John M. Jumper erhielt 2024 mit seinem Kollegen Demis Hassabis den Chemie-Nobelpreis. Mit Hilfe Künstlicher Intelligenz gelang es den beiden, aus einer Sequenz von Aminosäuren die dreidimensionale Struktur von fast allen 200 Millionen bekannten Proteinen vorherzusagen. Ebenfalls mit dem Nobelpreis geehrt wurde David Baker, der die Grundlagen geschaffen hatte.

Dass die Visualisierung dieser Lebensbausteine nun so einfach möglich ist, hilft, vitale Prozesse besser zu verstehen. Dazu gehören die Gründe, warum bestimmte Krankheiten oder beispielsweise Antibiotikaresistenzen entstehen. Auch präziser wirkende Medikamente und schneller verfügbare Impfstoffe lassen sich auf dieser Basis entwickeln.

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