Berlin. Die Arbeitszeit zu erfassen ist für die meisten von uns Alltag. Doch nun macht sich die Regierung daran, die Arbeitszeiterfassung neu zu regeln. Denn das Bundesarbeitsgericht urteilte jüngst: Arbeitgeber müssen ein System einführen, mit dem die Arbeitszeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erfasst werden kann. Diese Linie hatte bereits 2019 der Europäische Gerichtshof vorgegeben.
Worum es geht
Das deutsche Arbeitszeitgesetz (ArbZG) regelt Grundsätzliches zur Arbeitszeit wie Höchstdauer der Arbeit, Pausen und Ruhezeiten. Viele gesetzliche Regelungen zur Arbeitszeit stammen jedoch noch aus einer Zeit, in der nicht nur in den Produktionsbereichen, sondern auch in den Büros nach einem festen Zeitschema gearbeitet wurde. Begriffe wie mobiles Arbeiten, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, aber auch globale Zusammenarbeit in verschiedenen Zeitzonen standen da noch nicht im Mittelpunkt. Nun wird das Gesetz von 1994 von der Bundesregierung überarbeitet.
Was wichtig ist
Die Pandemie hat gezeigt, dass Privat- und Arbeitsumfeld immer mehr verschmelzen. Die Wünsche der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen für mehr Flexibilität zeigen sich deutlich: Sie möchten Berufs- und Privatleben besser vereinbaren. Dies muss sich in einer modernen Gesetzgebung zur Arbeitszeit widerspiegeln, ebenso der Schutz vor Überforderung und der Rahmen für gesundes Arbeiten.
Arbeitgeber wiederum benötigen einen verlässlichen, rechtssicheren Rahmen, damit die Flexibilität für beide Seiten nicht zu unbeabsichtigten Folgen führt und um in Bezug auf Ressourceneinsatz und Kosten planen zu können.
Was sich ändert: Geht die Vertrauensarbeitszeit verloren?
Das ist aktuell noch offen, die Novellierung des Arbeitszeitgesetzes läuft gerade erst an. Derzeit wird ein erster Entwurf innerhalb der Bundesregierung abgestimmt: Der sieht eine massive Ausweitung der geltenden Aufzeichnungspflichten vor. Zudem nutzt er die möglichen europarechtlichen Spielräume kaum und ignoriert die längst überfällige praxisgerechte Modernisierung des ArbZG. Insbesondere die Wünsche nach flexibler Arbeitszeitgestaltung und unbürokratischen Verfahrensweisen zur Arbeitszeiterfassung können dann nur noch eingeschränkt umgesetzt werden.
Viele Beschäftigte sowie Arbeitgeber setzen auf Vertrauen bei der flexiblen Ausgestaltung der Arbeitszeit – wenn man beispielsweise zwischendurch mal eine private E-Mail beantwortet oder ein Telefonat führt. Wichtig ist: Dieses Vertrauen geht in beide Richtungen. Viele Arbeitnehmende schätzen es, wenn sie ihre Arbeit kurz mal für eine private Angelegenheit unterbrechen und danach weiterarbeiten können – ohne jede Arbeitszeitphase einzeln erfassen zu müssen. Ein starres Gesetz, das dem Begriff der Arbeitszeit enge Grenzen setzt, nimmt den Beschäftigten die Möglichkeit, einen flexiblen Umgang mit ihrer Arbeitszeit ausleben zu können. Die etablierte Vertrauensarbeitszeit steht damit für viele Arbeitgeber auf dem Prüfstand, denn eine falsche Arbeitszeiterfassung zieht behördliche oder arbeitsrechtliche Sanktionen für Arbeitgeber und Beschäftigte nach sich.
Zudem steigt die Bürokratie immens an, wenn jeder Arbeitsabschnitt einzeln erfasst werden muss. Das erzeugt auch mehr Kosten für die Unternehmen.
Worauf kommt es jetzt an?
Flexible Arbeitszeiten sind ein hohes Gut. Dem zunehmenden Arbeitskräftemangel kann nur mit einer Arbeitszeitflexibilität begegnet werden und nicht mit der kleinlichen Dokumentation jeder Arbeitsminute. In Zeiten des Fachkräftemangels haben Unternehmen, die Flexibilität und damit eine bessere Vereinbarkeit von Privat- und Arbeitsleben bieten, einen klaren Wettbewerbsvorteil. Damit hätte die chemisch-pharmazeutische Industrie einen Nachteil gegenüber Unternehmen im (europäischen) Ausland, welche hier schon sehr großzügige Regelungen geschaffen haben.
So sieht es in der Praxis aus
Der Blick ins Labor zeigt, wie die Sache in der Praxis aussieht - etwa bei einer Chemikerin in einem Pharmaunternehmen. Um 9 Uhr morgens beginnt sie ihre Tätigkeit mit einer aufwendigen Versuchsreihe im Labor. Dazu sind umfangreiche Vorbereitungen nötig. Die Versuchsreihe verläuft vielversprechend und wird von der Mitarbeiterin den Tag über intensiv betreut. Am Abend steht die Reihe kurz vor dem Abschluss. Nach jetziger Rechtslage müsste die Mitarbeiterin die Versuchsreihe trotzdem nach zehnstündiger Arbeit abbrechen und am nächsten Tag neu anfangen. Könnte sie stattdessen ihre Arbeitszeit im Laufe der Woche flexibel verteilen und die Mehrarbeit an einem anderen Tag der Woche ausgleichen, dann ließe sich die Versuchsreihe sinnvoll abschließen.
Fazit:
- Keine Aufzeichnungspflicht ab der ersten Arbeitsminute: Dem zunehmenden Arbeitskräftemangel kann nur mit einer Arbeitszeitflexibilität begegnet werden und nicht mit kleinlicher Dokumentation jeder Arbeitsminute.
- Vertrauensarbeitszeit erhalten: Arbeitszeit muss weiter leicht an tatsächliche Bedarfe anpassbar sein. Der Entwurf verhindert dies. Die Sozialpartner können sinnvolle Leitplanken für diese Spielräume schaffen.
- EU-Flexibilisierungsspielräume nutzen: Der Gesetzgeber muss die Flexibilisierungsspielräume der EU-Arbeitszeitrichtlinie und der EuGH-Rechtsprechung nutzen und darf nicht zusätzliche deutsche Hürden aufbauen.