Ein schwieriges Jahr geht für die chemisch-pharmazeutische Industrie zu Ende. Die Hoffnungen auf eine Belebung der Konjunktur haben sich nicht erfüllt. „Wir befinden uns mitten in einem tiefen, langen Tal. Und noch ist unklar, wie lange wir es durchschreiten müssen“, kommentiert der Präsident des Verbandes der Chemischen Industrie, Markus Steilemann. Ein schneller Aufschwung sei nicht in Sicht.
Deutschland steckt in einer Krise, die nicht nur die Chemieindustrie betrifft. Die gesamte Wirtschaft leidet unter der schwachen Konjunktur und strukturellen Problemen. Um den Standort Deutschland zurück in die Erfolgsspur zu bringen, braucht es aus Sicht des Verbandes dringend einen tiefgreifenden Politikwechsel und einen Fokus auf eine wettbewerbsfähige Wirtschaft. Denn sie sichert die Basis für eine nachhaltige Zukunft. Die endlose Diskussion und das Ergebnis der Haushaltseinigung unterstreiche, dass die Politik endlich aufwachen muss, damit das Wohlstandsmodell Deutschland keinen Schiffbruch erleidet, betonte Steilemann.
Chemieproduktion geht um 11 Prozent zurück
Für die Branche war 2023 ein schlechtes Jahr. Insgesamt ging die Chemie- und Pharmaproduktion um 8 Prozent zurück. Rechnet man das Pharmageschäft heraus, liegt der Rückgang bei 11 Prozent. Den Unternehmen fehlten zunehmend die Aufträge. Die Kapazitäten der Branche waren mit durchschnittlich rund 77 Prozent nicht ausgelastet. Damit liegt die Produktion seit neun Quartalen unterhalb der wirtschaftlich notwendigen Grundauslastung von 82 Prozent.
Die Hersteller anorganischer Grundstoffe sowie von Seifen, Reinigungsmitteln und Kosmetika drosselten ihre Produktion um 10 Prozent. In der Fein- und Spezialchemie lag der Produktionsrückgang bei 4 Prozent. Auch die Pharmasparte hatte nach dem Impfstoffboom mit schlechten Standortbedingungen zu kämpfen und büßte 3 Prozent ein.
Mit rund 230 Milliarden Euro lag der Branchenumsatz 12 Prozent niedriger als im Vorjahr. Besonders kräftig fiel der Rückgang im Inlandsgeschäft aus. Die Verkäufe sanken um 16 Prozent auf 86 Milliarden Euro. Der Auslandsumsatz lag mit 144 Milliarden Euro 10 Prozent niedriger als im Vorjahr. Zum Umsatzrückgang haben auch rückläufige Chemikalienpreise beigetragen. Die Erzeugerpreise für chemisch-pharmazeutische Produkte waren 2023 durchschnittlich rund 1 Prozent günstiger als im Vorjahr.
Ausblick 2024: Rezessionsstimmung
Zum Jahresende herrscht in der Branche weiterhin Rezessionsstimmung. Sowohl die aktuelle Geschäftslage als auch die Erwartungen für die kommenden Monate sind negativ. Damit dürften weiter Aufträge im Chemiegeschäft fehlen. Der VCI geht deshalb für das kommende Jahr nicht davon aus, dass die Chemieproduktion wieder ansteigt. Beim Branchenumsatz wird ein Minus von 3 Prozent erwartet.
Diese Prognose bestätigen auch die Ergebnisse der aktuellen Mitgliederumfrage: Die Unternehmen rechnen kurzfristig nicht mit einem Aufschwung. 45 Prozent rechnen frühestens 2025 mit einer Besserung.
40 Prozent der Unternehmen beklagen Gewinnrückgänge
Umsatzrückgang, sinkende Verkaufspreise und hohe Produktionskosten setzen die Gewinne der Unternehmen erheblich unter Druck. Laut aktueller VCI-Mitgliederumfrage beklagen knapp 40 Prozent deutliche Gewinneinbrüche. Rund 15 Prozent der Unternehmen schreiben bereits rote Zahlen.
Gleichzeitig zwingt die anhaltend schwierige Geschäftslage die Unternehmen zu schmerzhaften Anpassungen. „Je länger diese Situation anhält, desto mehr müssen wir damit rechnen, dass weitere Anlagen stillgelegt werden“, warnt Steilemann. Auch der Ausstieg aus defizitären Geschäftsfeldern, Investitionsverlagerung ins Ausland oder Personalabbau seien mittlerweile nicht mehr auszuschließen.
Deutschland braucht Offensive 2030
Für eine wettbewerbsfähige Wirtschaft und eine grüne Transformation benötigt die Industrie auch konkurrenzfähige Energiepreise. Kurzfristig heißt das: Entlastungen bei den Energiepreisen. Langfristig heißt es: Tempo beim Umbau des Energiesystems – Stromangebot ausweiten, Netze ausbauen und Reservekapazitäten mit Back-up-Kraftwerken und Energiespeichern schaffen. Das Strompreispaket, das nach der Einigung im Haushaltsstreit weiter geplant ist, erhält jedoch lediglich den Status quo.
Das Energiethema ist aber nur eins von vielen ungelösten Problemen. Auf der Mängelliste stehen weiterhin die marode Infrastruktur, der Fachkräftemangel oder die überbordende Bürokratie und Regulierung.
„Wir müssen Deutschland neu denken. Wir brauchen eine Offensive 2030“, fordert Steilemann. Denn eine wettbewerbsfähige Wirtschaft sichere die Basis für eine nachhaltige Zukunft. Nur so ließen sich die zentralen politischen Ziele erreichen: Wohlstand, grüne Transformation, Sozialstaat und solide Staatsfinanzen.
Laut VCI-Mitgliederumfrage stemmen sich die Unternehmen mit aller Kraft gegen die Krise. 70 Prozent haben angekündigt, Effizienzmaßnahmen noch stärker in den Fokus zu rücken. Jedes zweite Unternehmen plant, die Innovationsanstrengungen zu intensivieren. 30 Prozent der Unternehmen wollen den ökologischen Umbau beschleunigen. „Wir sind ein Standort mit immensem Potenzial“, erklärt VCI-Präsident Steilemann. „Wir reichen der Politik die Hand, jetzt mit vollem Elan die dringend notwendigen Strukturreformen anzugehen.“
Die Bundesregierung muss
- die Wirtschaft von Bürokratie befreien und durch ein Moratorium weitere Lasten verhindern;
- Genehmigungen massiv beschleunigen und Deutschland zum Digitalland umbauen. Mit einer modernen Verwaltung sparen andere Nationen 2 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts ein;
- bei den Staatsausgaben priorisieren. Dabei müssen Kosten-Nutzen-Überlegungen ausschlaggebend sein und nicht politische Ideologie.